Perfekter Start!

Windeck - Altenkirchen (19 km)

   Wider Erwarten habe ich gut geschlafen. Nichts von der Unruhe, die mich in den letzten Nächten immer mal wach werden und nicht wieder einschlafen ließ. Um 7.30 Uhr stehe ich auf, frühstücke in aller Ruhe und lese die Zeitung. Nur nichts übereilen! Bis Altenkirchen sind es heute nur 19 Kilometer, da reicht es, wenn ich um 10 Uhr wegkomme.

   Draußen ist es noch kalt, aber der Himmel ist blau und es wird vom Wetter her bestimmt ein toller Tag werden. Doch zunächst mal kommen Fleecejacke und Anorak zum Einsatz, ausziehen kann ich beides immer noch.
   Mein Sohn Florian kommt und verkündet, dass er mich am Morgen ein Stück begleiten möchte, allerdings mit dem Fahrrad. Ich freue mich, schaue nochmal prüfend über meine Ausrüstung und schiebe dann den Wheelie vor die Haustür. Als die Tür ins Schloss schlägt, beginnt es: ein weiteres besonderes Abenteuer meines Lebens.
   Bei der Überlegung, was wichtiger ist, der Weg oder das Ziel, wird ein entscheidender Schritt übersehen: der Schritt zum Aufbruch! Nicht nur das Gehen und Ankommen, auch das Loslassen und Verlassen sind von großer Bedeutung. Es ist nicht so einfach, das gewohnte und vertraute, sichere und bequeme Zuhause zurückzulassen.
   Da Florian aber dabei ist, komme ich gar nicht dazu, mich melancholischen Gedanken hinzugeben. Ich schnalle mir den Gurt des Wheelies um den Bauch, dann die Bauchtasche mit den Wanderkarten, Handy, Tablet, Notizheft. Zum Schluss werfe ich mir noch meinen kleinen Tagesrucksack auf den Rücken und hänge mir die Kamera um den Hals. Fertig! Um 10 Uhr setzen wir uns in Bewegung.

   Wir sind noch keine 300 Meter unterwegs, als ich ein Pappschild an einem Baum hängen sehe: “ ROM - 2000 km“. Ein lieber Gruß von einem lieben Menschen, danke dafür!

   Und schon beginnt der erste Aufstieg! Wie viele werden es am Ende sein, wie viele Höhenmeter insgesamt? Ohne die Belastung durch einen schweren Rucksack ziehe ich ziemlich zügig die Serpentinen der Kreisstraße nach Roth hoch, immer durch Florian nach hinten abgesichert. Oben angekommen steht mir der Schweiß auf der Stirn, die Sonne gibt jetzt schon ihr Bestes. An einer Bushaltestelle ziehe ich den Anorak aus, die Fleecejacke reicht völlig. Kaum sind wir wieder 200 Meter unterwegs, bemängelt Florian mit Kennerblick das rappelnde rechte Hinterrad meines Wheelies. Es hat zu viel Spiel und hört sich nicht gut an. Während Florian vergeblich versucht, etwas daran zu richten, ziehe ich auch noch meine Fleecejacke aus. Eine immer wärmer strahlende Sonne und das Problem an meinem Pilgermoped treiben mir den Schweiß vermehrt aus den Poren. Ich verspreche Flo, beim nächsten Fahrradladen vorzusprechen und wir ziehen weiter.

   Weit geht unterwegs immer wieder der Blick über die Windecker Höhen und ich merke mal wieder, in welch einer schönen Gegend wir wohnen. Eine große Schafherde bevölkert eine hangige Weide und die ersten Lämmer suchen bei ihren Müttern die richtige Stelle zum Milchabzapfen.

   Bevor es Richtung Dahlhausen ins Irserbachtal runtergeht, dreht Florian um und lässt mich alleine weiterziehen. Kein langer Zirkus, eine feste Umarmung zum Abschied, noch ein Foto, dann bin ich endgültig alleine auf meinem Weg.

   Ich drehe mich noch einmal nach ihm um, er tut es im selben Moment auch. Wir winken uns nochmal zu - jetzt reicht es aber! Ich bekomme einen dicken Kloß im Hals. Jetzt bloß nicht sentimental werden!

   Wenig später spüre ich aber auch so etwas wie Befreiung. Was für ein großartiges Gefühl! Ich setze einen Schritt vor den anderen. Ich kann mir zwar die Strecke, die vor mir liegt, nach den Erfahrungen des Jakobsweges vorstellen . Und doch beginne ich sofort, vor mich hin zu träumen. Eine eigenartige Mischung aus Demut und erster vorsichtiger Fröhlichkeit begleitet mich ganz still. Wie von selbst kehrt Ruhe in mich ein. Es geht mir gut, ich bin zufrieden mit der Welt und dankbar laufen zu können, einfach nur laufen, in Richtung Süden. Für mich ist dies der Freiheitswunsch, den ich hin und wieder leben muss. Da ich alleine gehe, gibt es keine zwischenmenschlichen Stresssituationen, ich brauche Kompromisse nur mit mir zu schließen und kann tun, wonach mir der Sinn steht. Ich fühle in mich hinein und alles, was ich finden kann, ist ein Lächeln, das mich von Innen anstrahlt. Guten Morgen, Welt, ich komme!

   Gut gelaunt und mit mir zufrieden komme ich gerade nach Dahlhausen hineinmarschiert, als ich vor einer Scheune zwei Männer in verschmierten Blaumännern auf der schmalen Straße stehen sehe, angeregt ins Gespräch vertieft. Wir grüßen uns freundlich gegenseitig - und dann werfe ich einen zufälligen Blick durch das offen stehende Scheunentor. Und was sehe ich? Dies ist keine normale Scheune, sondern eine komplett eingerichtete Werkstatt! Zum Beispiel hängen Schraubenschlüssel aller Größen fein säuberlich an der Wand - und schreien mich förmlich an: “Wir wollen dein klapperndes Wheelierad reparieren!“ Ich packe die Gelegenheit beim Schopf und erläutere den beiden Männern das Problem. Keine zwei Minuten später sitzt das Rad bombenfest und von Klappern kann keine Rede mehr sein. Entwickelt sich das jetzt hier wie auf dem Jakobsweg im vorigen Jahr, als sich Probleme oder brenzlige Situationen auf seltsame Art und Weise wie von selbst lösten? Damals machten Annika und ich dafür Jakobus verantwortlich. Melden sich jetzt Petrus und Paulus zu Wort? Immerhin bin ich  auf dem Weg nach Rom...

   Aus dem Irserbachtal geht es wieder hinauf auf die Höhen. Aber es ist ein angenehmes, unangestrengtes Wandern. Der Wald spendet kühlenden Schatten und auf der Höhe weht ein angenehmer Wind, den ich mir mit Blick auf Birkenbeul während einer Rast bei einer kleinen Bank um die Nase wehen lasse.

   Kurz hinter Birkenbeul folge ich der Alten Kohlstraße, auf der früher die Holzkohle der Gegend mit Pferdekarren zu den Eisenerzverhüttungen an der Sieg transportiert wurde. Ohne große Höhenunterschiede verläuft dieser alte Weg bis nach Wölmersen. Zwei Zitronenfalter tanzen aufgeregt vor mir her, immer sich aufeinanderstürzend und wieder trennend, bis einer alleine davonflattert und der zweite sich auf meinem roten T-Shirt niederlässt. Vielleicht ist es ein Männchen und erschöpft von dem ergiebigen Liebesspiel. Vielleicht bin ich in seinen Augen aber auch nur ein wunderschöner großer Klatschmohn, auf dem es sich zu rasten lohnt.

   Um 16 Uhr laufe ich in meinem Tagesziel Altenkirchen ein und habe jetzt nur einen Wunsch: eine Eisdiele. Ein Nussbecher, das wäre es jetzt! Und, kaum zu glauben, Petrus und Paulus laufen zur Hochform auf. Zwei Straßenecken weiter, nur 500 Meter von meiner ersten Unterkunft entfernt, prangt mir ein Schild entgegen: “Bäckerei - jetzt auch Eisbecher!“ Eisdiele mit Nussbecher oder Bäckerei mit Nussbecher ist mir doch völlig egal. Ich setze mich draußen in die Sonne, bestelle und habe fünf Minuten später einen opulenten Nussbecher vor der Nase stehen. Ich stelle fest: Ein perfekter erster Tag hat so seinen krönenden Abschluss gefunden.

   Und die kleine Pension bei Frau Nickel ist auch in Ordnung.

 

Wer meine Route verfolgen möchte, klicke auf den Link:

 

https://docs.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmVkE4ZnE1amV6YmM/edit?usp=drivesdk

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Lore (Freitag, 21 März 2014 10:59)

    Hallo Reinhard,
    NUSS-Becher? Coup Dänemark ist doch viel leckerer!
    Lieben Gruß und weiterhin aufmerksame Apostelbegleitung!
    Lore

  • #2

    Christel (Freitag, 21 März 2014 16:12)

    Der erste Tag ist ja gut gelaufen (im wahrsten Sinne!)
    Wir wünschen Dir gutes Wetter, gute Gedanken, nette Begegnungen und alles Gute!!!! -- und ab und zu einen Eisbecher!

  • #3

    Kronprinz (Dienstag, 01 April 2014 13:15)

    Mal wieder ein Artikel zwischen Kloß im Hals und Grinsen im Gesicht.


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