Kurz mal verkehrt

Montabaur - Balduinstein (18 km)

   Gestern Abend hatte ich schon wieder technische Probleme. Deshalb war gestern nix mit Blogeinstellen. Dafür gibt es heute (hoffentlich) die doppelte Ladung. Ich hatte zwar wieder Basti am Sorgentelefon, aber obwohl mein Frust immer mehr anschwoll, klopfte er nicht an die Tür, wie gestern. Schade eigentlich!

   Das Schöne daran, dass gestern die Jugendherberge auf der falschen Seite der Stadt lag, nämlich auf der entgegengesetzten, ist heute früh, dass die Fortführung meiner Route genau hier beginnt. Also keine Stadttippelei am Anfang, sondern direkt ab in die Büsche. Besser gesagt, auf den wunderschönen Waldpfad durchs Gelbachtal. Die Sonne scheint, es herrscht die richtige Wanderfrische, die Vögelein zwitschern um die Wette, der Bach plätschert und gurgelt, glückliche Kühe stehen auf saftigen Wiesen, vereinzelte verschwitzte und schnaufende Jogger kommen mir entgegen oder überholen mich - ich genieße.

   Mit dem Genuss ist es schlagartig vorbei, als ich den angenehmen Talweg verlassen muss, um auf einen Höhenweg zu kommen. Jetzt beginne ich zu schnaufen, und das nicht zu knapp. Da ich mir vorgenommen habe, für ein paar Kilometer keinen ausgezeichneten Weg zu nutzen, sondern mir einen direkteren Weg auf meiner Karte zu suchen, ist jetzt neben Atemnot auch noch Konzentration gefragt. Die hilft mir aber auch nicht so recht, als ich an eine Stelle komme, wo auf der Karte es sich nur sehr schwer ausmachen lässt, welcher Weg nun der richtige ist. - Und ich schlage prompt den falschen ein. Er führt mich zwar nicht in die Irre, aber auf einen Reitweg, der von den lieben Zossen abgrundtief durchgewühlt worden ist. Mit meinem Wheelie natürlich ein besonderes Vergnügen. Mein Orientierungssinn sagt mir aber, dass ich nicht allzu falsch sein kann. Jedenfalls steht die Sonne da, wo sie laut Karte hingehört. Nichtsdestotrotz muss ich mich ordentlich in die Riemen legen. Keine zehn Meter von mir entfernt springt ein Reh über den Weg. Wahrscheinlich denkt es sich: “Wo kommt der denn her? Hier läuft doch sonst niemand rum.“ Sofort fällt mir Sira wieder ein. Die würde jetzt wieder Saltos schlagen.

   Als ich oben auf der Höhe bin, treffe ich tatsächlich auf den Weg, auf den ich zu treffen hoffte. Es war also kein Umweg, sondern nur die mühevollere Variante. Von nun an kommt die aktive Erholungsphase. Wenn man oben ist und man muss wieder ins Tal, geht es zwangsläufig runter. Über etwa drei Kilometer geht es jetzt auf einem angenehmen breiten Waldweg sanft abfallend hinab bis nach Ettersdorf. Das wäre jetzt eine Strecke, bei der ich mir gut vorstellen könnte, mich auf meinen Wheelie zu setzen, um mit ihm kraftschonend zu Tal zu rauschen.

   Unten in Ettersdorf riecht es nach Sonntagsbraten. Meine Mittagsmahlzeit wird etwas schmaler ausfallen. Aber immerhin, zwei belegte Brötchen, ein Apfel und ein Ei schlummern in meinem Lunchpaket, das ich mir in der Jugendherberge heute früh geschnürt habe. Nur, gerastet wird nach zwei Stunden Gehzeit, und so weit ist es noch nicht. Zwei Kilometer bis Isselbach gehen noch.
   Kurz vor 11 Uhr lasse ich mich am Ortsrand von Isselbach neben einer kleinen mannshohe Birken, die in der Sonne träumt, nieder und beginne meine erste kleine Mahlzeit. Im Gras ziehen Ameisen ihre Bahn, ein stahlblauer Käfer torkelt durch die Halme, droht dauernd umzukippen, kippt aber nicht. Eine Hummel macht einen mörderischen Krach, eine Blaumeise kommt sehr schnell heran, hockt sich einen Meter über meinem Kopf auf einen dünnen Ast, spürt mich und zuckt blitzschnell davon. Aus irgendeinem Grund summe ich Yesterday von den Beatles.

   Als ein Brötchen und der Apfel in meinem Magen verschwunden sind, beginnen die Glocken der kleinen Kirche von Isselbach zu läuten. Zeit zum erneuten Aufbruch. Drei Kilometer lang geht es jetzt auf einer schmalen Landstraße wieder bergauf. Zunächst in kleinen Serpentinen und dann in weiten Schwüngen immer weiter rauf, rauf, rauf. Neben mir hält mal wieder ein Auto, diesmal ein schwarzer Pick-up mit offener Ladefläche. Ein breites Grinsen strahlt mir entgegen. “Soll ich Sie mitnehmen?“ Wahrscheinlich rechnet er gar nicht mit einer Ablehnung, und als ich es doch tue, schaut der Fahrer etwas verblüfft, ja fast sogar etwas enttäuscht drein. Vielleicht hat er sich auf ein kleines Schwätzchen gefreut. Eine Versuchung ist es schon, wenn man “am Berg“, eine nicht leichte Karre hinter sich herziehend, so ein Angebot bekommt. Mal sehen, ob ich dem im Verlauf der Tour bis zum Ende widerstehen kann.

   Oben auf der Höhe, bei Hirschberg, kommt die Belohnung für die kleine Plackerei. Weit hinten am Horizont sehe ich auf einem Berg einen Turm. Das kann nur der Große Feldberg sein, die höchste Erhebung des Taunus. In drei Tagen werde ich dort oben sein und in diesem Turm übernachten.

   Und wieder würde ich jetzt am liebsten mein Wheelie in eine Seifenkiste umwandeln. Über sechs Kilometer hinweg fällt der Weg ins Lahntal ab. In Langenscheid lege ich nochmal einen Boxenstopp ein, verzehre auch mein zweites Brötchen und trudel dann ins Tal hinunter, immer die am gegenüberliegenden Lahnhang aufragende Schaumburg vor Augen. Bereits am frühen Nachmittag komme ich unten in Balduinstein an und das erste Haus, auf das ich treffe, ist das Hotel Lahnblick, meine Unterkunft.

   Die junge Wirtin, von der Größe und mit dem Körperumfang einer Fahnenstange, begrüßt mich überaus herzlich und freut sich, mir mitteilen zu können, dass sie für mich wegen der geringen Belegung ein Zimmer der Kategorie A (mit Balkon und Blick auf die Lahn) anstelle des von mir gebuchten Zimmers der Kategorie B (nach hinten raus) zum gleichen Preis vorgesehen hat. Bravo!

Zur Karte:

 

https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmTkFDamkyeXpFVXM/

 

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Die Pilgertochter (Sonntag, 23 März 2014 20:20)

    Hah! Da kann ich mir die Fine bildlich vorstellen! Lecker Rehbraten direkt vor der Nase... Ich wünsch dir die Kraft, den inneren Schweinehund bis zum Ende zu bekämpfen und NICHT der Versuchung freundlicher Mitfahrgelegenheiten zu erliegen.

  • #2

    Lore (Montag, 24 März 2014 11:49)

    Hallo Reinhard,
    prima, jetzt kann man auf den "Reinhard-Verfolgungs-Link" einfach draufklicken!
    Und Du schreibst wieder soooooo schööön!
    Wegen mir kannste auch mal freundliche nette Mitfahrgelegenheiten annehmen. Könnten ja echt interessante Bekanntschaften werden. Und ob Du mal 10 km fährst statt läufst, ist doch egal, wirkt sich bei der langen Strecke doch nicht aufs zu-Fuß-geh-Gefühl aus.
    Lieben Gruß
    Lore aus dem kühlen Lohmarer Regenwetter

  • #3

    Der Kronprinz (Dienstag, 01 April 2014 17:55)

    Du schlägst dich wacker, alter Mann!


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