Ein Lob den Waldarbeitern!

Idstein - Großer Feldberg (21 km)

   Ich habe nicht unbedingt damit gerechnet, dass ich bei Pfarrer Paul neben der kostenlosen Möglichkeit zur Übernachtung auch noch ein Frühstück bekomme. Der Plan ist, gegen 8 Uhr aus dem Haus zu gehen, um in einem Cafe in der Altstadt zu frühstücken und gegen 9 Uhr Idstein zu verlassen. Aber Pläne sind dazu da, um verworfen zu werden. Als ich den liebenswürdigen Kirchenmann nach meinem morgendlichen Badbesuch im Flur treffe, bittet er mich, mit ihm in die Küche zu kommen und zeigt mir, was er mir bereitgelegt hat: Brötchen, Butter, Wurst und Käse, für jetzt und zum Mitnehmen, die moderne Kaffeemaschine reagiere auf Knopfdruck. Er selbst habe schon vor einer Stunde gefrühstückt, er sei Frühaufsteher. “Versorgen Sie sich! Ist das so für Sie in Ordnung?“ Aber selbstredend, Herr Pfarrer! Ich bin mal wieder begeistert von solch einer Gastfreundschaft. Oder kann man das einfach so von einem Pfarrer erwarten? Ich denke, nicht unbedingt.

   Mit Gottes Segen für meine weitere Reise versorgt, verlasse ich das Pfarrhaus und ziehe Richtung Altstadt. Genau wie gestern ist es herrlich sonnig, aber auch herrlich kalt. Mein Wetter! Am Platz vor dem roten Rathaus fällt mir die Touristen-Info auf. Eigentlich könnte ich eine etwas aktuellere Karte für den Taunus gebrauchen. Die, die ich mitführe, ist schon älter. Als ich anno 1980 auf dem E1 Richtung Genua gewandert bin, hat sie mir schon den Weg gewiesen. Ich kann ja nur ganz schlecht so Karten wegwerfen. Aber ich traue ihr nicht mehr. Vielleicht bekomme ich hier bei der Info das Passende.

   Ich bekomme nicht nur das Passende, sondern das auch noch umsonst! Die freundliche Dame hinter dem Schalter ist so beeindruckt von meinem Vorhaben, dass sie mir die Karte schenkt. Allerdings habe ich ihr auch vorher in aller Form von ihrem schönen Städtchen Idstein vorgeschwärmt.

   Pünktlich um 9 Uhr, so wie ich es vorhatte, gehe ich zum Städtele hinaus, wohlwissend, dass der heutige Tag es in sich haben wird. Über 20 Kilometer sind normalerweise keine große Nummer, aber es geht den Großen Feldberg hoch. Und keinen Kilometer hinter Idstein geht es auch schon los. Es ist immer relativ grausam, wenn der Berg mit Macht ruft, ohne dass der Kreislauf Zeit hatte, sich darauf ausreichend einzustellen. Trotz der Kälte beginne ich recht schnell unter meinem Anorak zu kochen. Der Schweiß am Hals droht direkt wieder zu gefrieren, eine eigenartige Situation.

   Als ich nach etwas mehr als einer Stunde aus dem ersten Waldgebiet heraustrete, stoße ich auf den Limesweg, der von hier aus ein kurzes Stück mit dem E1 parallel verläuft. Dieser Limesweg heißt jetzt nicht einfach so, sondern geht über weite Strecken direkt neben dem alten Grenzbollwerk zwischen dem römischen Anspruchsgebiet und dem der germanischen “Barbaren“ her. Schade nur, dass das in der Regel ungeschulte Auge des Wanderers nichts von ihm im Gelände ausmachen kann. Dort, wo “Römerkastell Alteburg“ auf der Karte steht, findet der Wanderer einen Parkplatz, einen Picknickplatz und zwei Reihen von alten Obstbäumen auf einer ebenen Wiese vor. Aber die Zeit verwischt eben nun mal viele Spuren.

   Recht bald hinter dem unsichtbaren Römerkastell schlagen die beiden Wege einen gemeinschaftlichen Haken, den ich so nicht mitmachen möchte. Ich kürze ab (und lerne es wohl nie!). 

Aber diesmal ist das gar nicht so verkehrt - mit einer kleinen Einschränkung. Im Dattenbachtal ist die Markierung für die Abzweigung auf den wieder auftauchenden Limesweg nicht mehr vorhanden und ich laufe zunächst an dieser Stelle vorbei. - Und jetzt kommt erneut Petrus ins Spiel! Im Wald sind wieder mal Waldarbeiter mit ihren schweren Maschinen im Einsatz, drei weitere sitzen in ihrem Auto auf dem Waldweg und machen gerade ihre zweite Frühstückspause. Zunächst bewundern sie mein Wheelie und dann kommen natürlich die Fragen nach dem Woher und Wohin. Ich gebe bereitwillig Auskunft und ernte riesengroße Augen. Als ich ihnen dann mein Problem mit der verschwundenen Zuführung zum Limesweg schildere, springen sie aus dem Auto und beginnen zu erklären. Vielleicht wäre ja meine Karte etwas älter (habe ich sie deshalb geschenkt bekommen?), aber diese Zuführung musste gesperrt werden, weil die Brücke über den kleinen Dattenbach mal bei Hochwasser zerstört und nicht wieder aufgebaut worden sei.

   “Aber kommen Sie mal mit! Wir werden Sie an der Stelle schon gemeinsam über den Bach geworfen kriegen!“ Energischen Schrittes ziehen sie los, biegen auf einen kaum mehr zu erkennenden Trampelpfad Richtung Bach ab, trampeln durch die recht sumpfige Uferzone, und ich immer mit Abstand hinterher. Irgendwann erschallt die Stimme von ihrem Wortführer. “Hier geht's! Kommen Sie!“ Er steht schon auf der anderen Seite des Baches und hält die Hand nach mir ausgestreckt. Die anderen beiden Jungs greifen sich hinten meinen Wheelie und - schwupps! bin ich drüben. Sie freuen sich wie die Kinder und winken hinter mir her. “Da hinten am Waldrand geht der Limesweg hoch und genau da verläuft auch die Kreisgrenze. Hier sind sie noch ein paar Meter im Rheingau-Taunus-Kreis, am Waldrand sind Sie dann im Hochtaunuskreis.“ Na, dann weiß ich ja Bescheid.

   Tatsächlich, als ich mich den Waldrand hochmühe, treffe ich alle fünfzig Meter auf uralte Grenzsteine, die aber noch älter sein dürften als die heutigen Landkreise. Am “Römerkastell Maisel“, von dem man noch einen Hauch in einem kleinen Waldstück nahe Glashütten erkennen kann, mache ich mich, dank einer kleinen Info-Tafel schlau und gebe meine gewonnenen Kenntnisse hier wieder:

   Der Obergermanisch-Rätische Limes war ein Teilabschnitt der Nordgrenze des römischen Reiches, 550 Kilometer lang, hatte rund 120 Kastelle und etwa 900 Wachtürme und ist damit das größte archäologische Denkmal Deutschlands. Er verlief vom Rheintal durch den Taunus und die Wetterau bis zum Main und weiter über den Odenwald bis an die Donau. Der Limes hier im Taunusgebiet ist um die Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. errichtet worden und diente noch in nachrömischer Zeit als deutlich sichtbares Geländemerkmal, oft auch als Terretorial-, Kreis- oder Gemarkungsgrenze. So verlief vom Dettenbach bis Glashütten auf dem Limes zunächst die Grenze zwischen Kurmainz und der Grafschaft Nassau, von der sich noch zahlreiche Grenzsteine erhalten haben (Das waren sie, die am Waldrand!!!). Noch heute verläuft hier auf dem Limes die Kreisgrenze zwischen dem Hochtaunuskreis und dem Rheingau-Taunus-Kreis (Das haben mir ja schon die Waldarbeiter erzählt.). - Haben das jetzt alle verstanden??? In vier Monaten kommt ein Lückentest, liebe Kinder!

   Nach Glashütten geht es so richtig zur Sache. Der Große Feldberg fordert den ganzen Mann. Wow! Wow! Es wird so steil und der Weg ist so voll Baumwurzeln und Felsen, dass es verdammt Kraft kostet. Etwa alle zwanzig Meter bleibe ich stehen und verschnaufe. Auf der Passhöhe am Roten Kreuz steht ein Gasthaus, dessen lange Tradition deutlich sichtbar ist. Ich wanke hinein, bestelle mir einen Eimer Spezi, der mir herrlich (in Sekunden) durch die Kehle rinnt. Nach einer Viertelstunde bin ich wieder draußen, ich will es hinter mich bringen. Und immer noch geht es steil hoch, über Stock und Stein. Mein Wheelie ächzt und stöhnt und ich tue es ihm nach. Wir genießen eben zusammen und leiden zusammen.

   Ich bin noch 100 Meter vom hohen Sendemast auf dem Gipfel des Großen Feldbergs entfernt, setzt ein gewaltiger Graupelschauer ein. Unter Mobilisierung der letzten Kräfte jage ich die letzten Höhenmeter hoch und stehe endlich vor dem Aussichtsturm, der sich neben dem riesigen anderen Turm sehr bescheiden ausmacht. Aber er hat etwas Besonderes: In diesem Aussichtsturm befindet sich das Wanderheim des Taunusklubs und hier werde ich übernachten.

   Vom jungen Mann im Turmkiosk bekomme ich den Schlüssel ausgehändigt, jetzt noch einige Treppenstufen hoch, Tür aufschließen - und ich bin drin! Ich bin (und bleibe) alleine, es ist gemütlich und die Heizung wird schnell warm. Vom Fenster aus kann ich hinuntersehen bis Frankfurt.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmcUQ1WHpxUkh6ek0/

 

 

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Kommentare: 7
  • #1

    Jules (Mittwoch, 26 März 2014 21:49)

    Es macht Spaß, gelegentlich von dir zu lesen! Alleine wandern ist einfach großartig :-) Ich wünsche dir noch jede Menge tolle Begegnungen auf deiner Tour!

  • #2

    Lore (Donnerstag, 27 März 2014 10:48)

    Hallo Herr Lehrer,
    beim Lückentest mach ich nicht mit!
    Du hast bestimmt die Infotafel vom Obergermanisch-Rätischen Limes abfotografiert, damit Du uns "Deine gewonnen Kenntnisse" weitergeben kannst :-)
    Aber prima! Hier im Blog gibt es wieder viel zu lernen.
    Aus dem hellen warmen Sonnenschein grüßt die Lore

  • #3

    opapilgertwieder (Donnerstag, 27 März 2014 15:46)

    Hallo Lore,
    nix, das wusste ich alles schon vorher!!! (Hi, hi...)

  • #4

    Die Pilgertochter (Donnerstag, 27 März 2014 23:19)

    Lückentexte fand ich schon in der Schule doof. Und du Armer! Keine Sira, die dich und den Karren zieht. Keine Anni, die den Karren von hinten schiebt...

  • #5

    Seine (Freitag, 28 März 2014 20:10)

    Das ich das noch erleben darf, Du bist ausser Atem und musst eine Pause einlegen.
    Die beiden nächsten Tage soll es warm bleiben. Wir wünschen Dir gutes Weiterkommen und viel Spass bei der Tour.
    Willi und Maria

  • #6

    Der Kronprinz (Mittwoch, 02 April 2014 14:10)

    Immer noch der Lehrer...

  • #7

    Werner Lang (Freitag, 11 April 2014 17:07)

    Hallo,
    ich lese gerade alle Berichte nach.
    Bin auf dem Limeswanderweg auch durch Hessen gewandert. Daher kenne ich jeden Meter Deiner Strecke. Hinter Idstein bei Dasbach steht ein rekonstruierter römischer Wachturm. Mann, oh Mann, das steile Stück zum Roten Kreuz hoch (nahe beim Feldberg-Kastell) und das mit Wheelie, das ist wirklich der Hammer. Respekt!


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