Monsterhaufen und Bratwürstchen

Großer Feldberg - Kronberg i.T. (11 km)

    Gestern Abend bin ich mit dem Bewusstsein ins Bett gegangen, so lange zu schlafen, bis ich von alleine aufwache und wirklich keine Lust mehr habe liegenzubleiben. Der Tag gestern mit dem Anstieg auf den Großen Feldberg hatte Kraft gekostet und mein Körper braucht Erholung. Das hatte ich schon zu Hause bei der Etappenplanung genau so vermutet und für den anschließenden Tag nur eine Kurzetappe vorgesehen. Heute sind es nur 11 Kilometer bis nach Kronberg und ich kann mir alle Zeit der Welt lassen.

   Um 8.35 Uhr wache ich auf und verordne mir noch 20 Duselminuten. Sie sind angefüllt mit vollkommen bescheuerten Träumen und als mir das bewusst wird, reiße ich mir ganz schnell die Decke weg. Als ich die ersten Schritte Richtung Toilette gehe, fühle ich mich zwar nicht wie ein frisch geschlüpftes Küken, aber meine Beine machen erstaunlich gut mit. Durch die schmalen Turmfenster flutet die Sonne ihre Strahlen herein und versetzt mich sofort wieder in glückliche Zufriedenheit. In aller Ruhe stopfe ich meine Sachen in die Wheelietasche und in den Rucksack und schmiere mir zum Frühstück eine Scheibe Brot. Ich kann von Glück sagen, dass ich mir gestern bei ALDI in Glashütten noch eine kleine Ration an Lebensmitteln gekauft habe, sonst sähe ich jetzt alt aus. Sowohl der Kiosk unten im Turm als auch der Feldberger Hof nebenan öffnen erst um 11 Uhr und solange will ich nun wirklich nicht auf mein Frühstück warten. Obwohl es bei der Kürze der heutigen Strecke immer noch früh genug gewesen wäre. Also tut es jetzt ein leckeres Camembert-Brot und ein Apfel auch. Nur der Kaffee fehlt schon sehr...

   Um 10.30 Uhr schließe ich die Tür zum Wanderheim-Bereich im Turm ab und will gerade die zwei Treppen hinuntergehen, als mir einfällt, dass ich mich doch in einem Aussichtsturm befinde. Also sollte ich doch mal gucken, ob ich Aussicht habe. Ich lasse mein Wheelie im Treppenaufgang stehen und mache mich auf den Weg nach oben. Liegt es nun am riesigen Fernsehturm nebenan, gegen den sich der Aussichtsturm ausgesprochen klein ausmacht und ich ihn mir daher gar nicht so hoch vorgestellt habe, oder am morgendlichen Kampf mit dem Kreislauf, jedenfalls atme ich auf jedem neuen Treppenabsatz ganz schön tief durch. Hören die Treppen denn gar nicht mehr auf...?

   Nach gefühlten tausend Stufen bin ich oben und der Blick ist wirklich gewaltig. Oder besser gesagt: besonders. Der Morgendunst (oder ist es Nebel?) liegt in den Tälern des Taunus und nur die Spitzen der Höhen schauen aus ihm hinaus. Von Frankfurt unten im Maintal ist nichts zu sehen. Ich bewundere das, was ich sehe, es ist eben von einer besonderen Schönheit. Auf dem Rückweg nach unten zähle ich die Stufen. Es sind “nur“ 144.

   Die erneute Frische des Morgens und der beglückende Sonnenschein geben mir Energie und ich stampfe beseelt los - bis mir bewusst wird, Junge, du hast heute Zeit, lege den Entschleunigungsschalter um, einen Gang zurück! Ich wähle für den ersten Kilometer die breite Straße, die von unten hochkommt. Mir steht jetzt nicht der Sinn nach einem Knüppelpfad, auf dem ich sofort mit höchster Konzentration unterwegs sein müsste. Ich will es einfach nur gemächlich laufen lassen, und da auf der Straße zu dieser Zeit kaum Autos fahren, rolle ich zufrieden dahin.

   Die Aussicht, heute die gesamte Strecke lang bequem bergab zu laufen und das bei herrlichstem Sonnenschein und angenehmen Wandertemperaturen, verleiht meinen Schritten wohl etwas Beschwingtes. Manchmal merke ich, wie ich vor mich hin grinse, und mir bergauf entgegenkommende Spaziergänger oder Kurzwanderer verstehen meinen Gesichtsausdruck vielleicht als leicht spöttische Schadenfreude. Keine Sorge, liebe Leute, ich belächel nicht euch, sondern nur meine gute Laune und den schönen Tag.

   Und der Tag wird noch schöner, als ich nach etwa einer Stunde an der Waldgaststätte “Fuchstanz“ vorbeikomme und Tische und Stühle draußen in der Sonne stehen sehe. Man muss nicht alles nehmen wie es kommt, aber wenn es kommt, sollte man es so auch nehmen. Und jetzt kommt Kaffee! Noch nie habe ich so schnell eine Rast eingelegt, aber das hier fällt unter Frühstück. Es gibt bestimmt viele schöne Momente im Leben. Der mit einer heißen Tasse Kaffee vor sich auf dem Tisch, einer angenehm wärmenden Sonne und einem rundherum nahezu gellenden Vogelkonzert ist einer davon.

   Da sonst noch kein Mensch zu bedienen ist, gesellt der Wirt sich zu mir und horcht mich aus. Ich werde mich daran gewöhnen müssen, die Geschichte meines Vorhabens oft zu erzählen, aber ich tue es auch gerne, wenn die Leute ernsthaftes Interesse daran zeigen. Und der Wirt vom “Fuchstanz“ ist so ein Mensch und er fragt mir Löcher in den Bauch.

   Als ich eine halbe Stunde später weiter bergab rolle, kommt es zur nächsten netten Begegnung. Ein älteres Ehepaar rastet auf ihrem Weg bergauf auf einer Bank und als ich grüßend vorbeiziehe, ruft die Frau hinter mir her: “Na das ist ja mal praktisch! (Sie meint den Wheelie!) Das wäre doch was für den Jakobsweg!“ Damit waren wir natürlich beim Thema. Eine Viertelstunde bleiben wir im Gespräch.

   Irgendwann kommt die Frage, die bald immer kommt. “Warum gehen Sie diesen langen Weg alleine?“ Ich könnte mit dem Spruch antworten “Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut“, aber das wäre doch etwas zu flach. Manche machen sich da vielleicht wirklich Sorgen. Der Mensch ist auf Gemeinschaft angelegt. Oft ist es leichter, eine Aufgabe zu zweit zu erfüllen. Das gibt mehr Sicherheit und kann auch ein Akt der Vorsicht sein. Aber auch das Alleinsein hat seinen Wert. Es gibt dir die Freiheit, dich zu konzentrieren, in dich hineinzuhören und nachzudenken. Du wirst dabei nicht von dem Bemühen um den anderen abgelenkt. Aber alles hat seine Zeit. Im Alleinsein wachsen auch die Sehnsucht nach Gemeinschaft und die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen, mit ihnen zu sprechen oder gemeinsam ein Stück des Weges zu gehen.

   Immer weiter geht es bergab, auf breiten Wegen durch Buchenwälder, die noch kein Laub tragen. Je tiefer ich komme, umso mehr erwärmt sich die Luft. Eigentlich könnte ich jetzt meinen Anorak ausziehen, aber dazu bin ich jetzt, so kurz vor dem Ziel, schlicht zu faul. Die ersten Häuser von Falkenstein tauchen auf, ich ziehe nördlich an diesem Ort am Südhang des Taunus vorbei. Plötzlich schießt aus dem Nichts etwas wild Hechelndes auf mich zu, rennt an mir vorbei, ist weg und war ein Hund. Weit und breit kein Halter. Ich komme in den Bereich einer städtischen Grünzone, wo Hunde entweder allein oder mit Herrchen oder Frauchen an der Leine Gassi gehen. Dieser Hund gerade hat wohl gehört, wie zu Hause die Futterdose geöffnet wurde.

   Dass ich mich im Moment im Gassirevier von Kronberg befinde, ist schwerlich zu übersehen. Ein Fäkalienbestimmungsbüchlein wäre fein. Damit ich leichter Rückschlüsse auf jene Geschöpfe Gottes ziehen könnte, die hier draußen den Lebensraum mit mir teilen. Ich lebe ja nun auch schon einige Jahre auf dem Land, mir ist wenig Exkrementisches fremd, was aber hier liegt, mitten auf dem Weg, wie hingezirkelt, das sind Monsterscheißhaufen, bedrohlich. Das kann nur von etwas längst Ausgestorbenem stammen. Hoffentlich stoße ich niemals auf dieses Ungeheuer.

   Ich habe Glück und bleibe verschont. Mein Navi hilft mir, in Kronberg das Gästehaus Witt zu finden. Um 14 Uhr stehe ich vor der Tür. Frau Witt öffnet und wirkt etwas erschrocken. “Ich habe Ihnen doch auf den AB gesprochen. Es hat da ein Problem gegeben...“ Mir wird mulmig. Ich habe nicht die Möglichkeit, meinen AB von zu Hause abzuhören. Ich sehe mein Zimmer den Bach runtergehen. Gäste, die länger bleiben als nur eine Nacht, werden natürlich bevorzugt, klar! Aber dann kommt die Erlösung. Nach dem AB-Anruf wurde die längerfristige Buchung noch storniert und ich bekomme mein Zimmer doch noch. Herr und Frau Witt sind selbst erleichtert, dass sich alles noch geregelt hat.

   Als ich nach einem kleinen Nachmittagsnickerchen eine kleine Runde durch den Ort drehen möchte, lädt mich Herr Witt noch zum Grillen ein. In einem mit Planen abgetrennten Winkel des Hofes haben sich die Witts eine kleine Oase der Behaglichkeit eingerichtet, incl. großem Gasgrill und Heizpilz, wo sie ihre Gäste, sehr oft Monteure mit längerer Verweildauer, des öfteren zu einer gemütlichen Grillrunde einladen. Die kleine Runde durch den Ort wird noch kleiner als beabsichtigt und schon bald steht ein Teller mit zwei köstlich würzigen Bratwürstchen und einer Portion Kartoffelsalat vor mir. Man muss einfach nur im richtigen Moment am richtigen Ort sein.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmUUZmU1pMUWJJY1E/

 

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Sebastian (Donnerstag, 27 März 2014 23:56)

    11 km? Bergab? Ist das jetzt der Rentnermodus? Überanstreng dich nicht...

  • #2

    Die Pilgertochter (Freitag, 28 März 2014 08:56)

    Hahaaa! Camembert! Das weckt streng riechende Erinnerungen. Damit dich auch jeder als Pilger erkennt... Aber was heißt "... ist keiner da, der dir was tut..."??? Ich hab dir doch auch nix getan. Schnüff...

  • #3

    Lore (Freitag, 28 März 2014 09:39)

    Ach, Annika, das ist doch bloß so ein kluger Spruch von Wilhem Busch, den der Herr Lehrer da der Einfachheit halber zitiert hat......

  • #4

    Christel (Samstag, 29 März 2014 08:10)

    Wieder ist jeder Abend (oder der nächste Morgen) spannend, weil ich Deine Berichte lese. Die sind ja wieder mal druckreif. In Kronberg hätte ich übrigens ein "Umsonst-Quartier" für Dich gehabt! Vorbei!
    Genieße Deine Wanderung, wir sind in Gedanken bei Dir, vor allem, wenn Du dann mal in Rom ankommst!
    LG Christel

  • #5

    Der Kronprinz (Mittwoch, 02 April 2014 16:34)

    144 Stufen und du schätzt 1000?! Na hoffentlich fühlen sich die 2000km nach Rom für dich nicht an wie 14.000...!

  • #6

    wilf (seit 6 Wochen auch Opa) (Donnerstag, 03 April 2014 22:42)

    “Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut“ Diesen Spruch liebe ich; bin auch gerne allein, aber Lore fand ihn nicht so toll, weil dann auch niemand da, der dir was Gutes tut (wie Annika). Jetzt lese ich alle Blogeinträge, weil ich endlich Zeit und das Bedürfnis habe, diese wunderbaren Zeilen zu geniessen. Viel Glück Opa!


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