Ich mach mir MEINEN Westweg!

Forbach - Unterstmatt/Ochsenstall (20 km)

   Das habe ich jetzt schon länger nicht mehr gehabt: Ein Frühstück mit zwei Grundschulklassen in einem Tagesraum während ihrer Klassenfahrt. Es ist schon ihr drittes Frühstück bei dieser Fahrt und die Aufregung hat sich gelegt. Die Stimmung ist entspannt. Die Herbergsmutter rät mir, vor den Kindern ans Frühstücksbuffet zu gehen, damit ich dort etwas mehr Ruhe habe. Bis die Kinder kämen dauere es noch einen Moment, erst würde noch ein gemeinsames Guten-Morgen-Lied gesungen. Während ich mir den Käse auflege, aber nicht weiß, welche Marmelade ich auswählen soll, ertönt auch schon ein fröhlicher Song, begleitet von Frau Lehrerin mit der Gitarre. Danach gehen auch die Kids tischweise ans Buffet, ich bediene mich an der großen Lehrer-Kaffeekanne, dann fassen sich alle an den Händen und wünschen sich mit einem geflüsterten “Piep, piep, Mäuschen...“ einen guten Appetit. Als ich mich verabschiede, wünschen mir einige Kinder eine schöne Wanderung.

   Gestern habe ich von der anderen Murgtalseite schon gesehen, dass es heute wieder weit, weit hinauf geht. Die zwei Kilometer Aufstieg zur Jugendherberge waren da nur ein Bruchteil von dem, was heute noch zu schaffen ist. Die Herbergsmutter gibt mir eine Kartenkopie mit, auf der sie dem Westwegwanderer den Anschluss an den Westweg eingezeichnet hat. Direkt hinter der Jugendherberge geht es auch schon los. Kurve um Kurve geht es hoch. Grundsätzlich gibt es für mich drei Arten von Steigungen. Zum einen die, die man auf einem guten Waldweg “hochziehen“ kann, ohne anzuhalten. Zum anderen die, die nur geringfügig steiler sind. Aber genau dieser Ticken mehr verursacht sauer werdende Beine und Sauerstoffnot. Nach 15 Sekunden Durchatmen geht es wieder 200 Meter weiter. Und dann gibt es die noch steileren Pfade mit Gesteinsbrocken und Baumwurzeln, wo man 30 Meter kraxelt und dann drei Minuten lang versucht, wieder genug sauerstoffreiche Luft in die Lungen zu bekommen. Zur Wegscheid hoch bewege ich mich auf Waldwegen der Kategorie zwei. Es strengt an, aber ich komme gut vorwärts.

   Nach eineinhalb Stunden bin ich an der kleinen Hütte an der Wegspinne, wo sechs Wege zusammenlaufen. Schon seit Mitte des 18.Jahrhunderts ist die Bezeichnung Wegscheid für diesen Punkt mit einer Hütte im Wald überliefert, wo Jäger und Forstarbeiter rasteten oder bei anhaltend schlechtem Wetter sich zeitweilig hin zurückzogen. Schlechtes Wetter ist nun wirklich nicht, aber rasten muss ich schon, auch wenn ich noch nicht meine Mindestlaufzeit von zwei Stunden hinter mir habe. Ich lege mich auf eine Bank, schließe die Augen und versuche den Sekundenschlaf.

   Fast gelingt es mir, dann höre ich Stimmen. Das heißt, es sind weniger Stimmen, als eher ein stoßartiges Ausatmen von Buchstaben. Dann plumpsen Rucksäcke ins Gras. Ich erhebe mich aus meiner Liegeposition und wende mich den Ankommenden zu. Zwei ältere Damen sind es, in perfekter Wanderausstattung, die laut und vernehmlich nach Luft schnappen. In diesem Moment nähert sich auf einem schmalen Pfad der dazu passende ältere Herr, ebenfalls mit dickem Rucksack, wankt zur nächsten Bank und lässt sich darauf mit rasselndem Atem nieder.

   Nach ein paar Minuten sind sie wieder der deutschen Sprache mächtig und als Gesprächsstarter dient wie so oft der Wheelie. Dann stellt sich heraus, dass sie eigentlich nur Tageswanderer sind und sie ihr Auto in Forbach stehen haben. Als ich verblüfft bemerke, dass sie als Tageswanderer aber schwere Rucksäcke dabei hätten, verkünden sie, sich nur im Training zu befinden - für den Jakobsweg. Damit sind wir beim Thema. Die letzten ca. 200 Kilometer sollen es im Mai werden, von Ponferrada bis Santiago de Compostela, also die Galicien-Teilstrecke. Seit vier Wochen berennen sie die Berge des Schwarzwalds mit vollem Gepäck, um sich vorzubereiten. Ich werde nach wichtigen Erfahrungen gefragt, gebe ein paar Tipps, dann muss ich weiter. Ich wünsche ein “Bon camino“ und bin weg.

   Von der Wegscheid fällt der Weg ab zum Schwarzenbachstausee, dem größten des Schwarzwalds. Sein Wasserspiegel ist aber beträchtlich niedrig. An der Ufervegetation sehe ich, dass der Normalstand ein paar Meter höher ist. Der ausgefallene Winter, kaum Schneeschmelze, die Trockenheit zumindest der letzten drei Wochen machen sich vielleicht hier bemerkbar.

   Als der Weg das Ufer erreicht, schwenke ich Richtung Landstraße und schenke mir den steilen Aufstieg zum Herrenwieser See und auf die Badener Höhe. Ich MUSS den Westweg nicht lupenrein laufen und mich verausgaben, wenn andere Wege - und seien es wenig befahrene Landstraßen - auch zu einem Etappenziel führen. Übrigens: Die drei Jakobspilger in spe sind von Forbach aus den Westweg zur Wegscheid hochgekraxelt und waren - ohne Wheelie - fix und fertig. Der Weg über die Jugendherberge und die heutige akzeptable Steigung waren also ersatzweise keine schlechte Lösung. Wieder alles richtig gemacht!

   Die Steigung auf der Landstraße über Herrenwies bis Sand ist minimal und der Verkehr auch. Kurz vor Sand der erste Skihang, der Lift geht hoch auf den Mehliskopf. Doch jetzt ist alles grün. Ob in diesem Jahr hier Ski gelaufen wurde? Meine Landstraße mündet ein in die Schwarzwaldhochstraße und auch sie nutze ich als Wanderstrecke. Hört sich vielleicht komisch an und an einem Wochenendtag hätte ich das vielleicht auch nicht gemacht. Aber der Verkehr hält sich wirklich schwer in Grenzen und die Aussicht von dieser Straße hinunter ins Rheintal ist wie von einem gigantischen Balkon. Nur von den Vogesen ist nichts zu erkennen. Wie ein breites Handtuch hängt eine Nebelwand davor und versperrt die Sicht.

   Es ist noch früh und ich gönne mir drei Kilometer vor meinem Etappenziel noch eine Rast im Gasthaus “Zur großen Tanne“ auf der Passhöhe Unterstmatt. Biker machen offensichtlich gerne hier Rast und der Wirt scheint selbst ein Motorrad-Jünger zu sein. Er ist von dieser rauhen, herzlichen Art, die ich so mag. Als er nach meinem Ziel fragt und ich es ihm sage, würde er am liebsten mitkommen, aber mit dem Motorrad.

   Eine Dreiviertelstunde später bin ich am Wanderheim Ochsenstall, idyllisch gelegen an einer Lichtung im Wald. Die holländische Wirtin zeigt mir mein Zimmer und im Gegensatz zu den letzten Tagen steht mir heute nicht der Sinn nach einem Nickerchen. Draußen habe ich Liegestühle gesehen, in der Sonne. Das ist doch Relaxen auf erhöhtem Niveau. Zehn Minuten nach der Dusche liege ich draußen und genieße. Meine Stimmung tendiert zur Weltumarmung.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmSkNXX3hPQVJXSkk/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Der Kronprinz (Donnerstag, 10 April 2014 21:06)

    Hammer Foto!!!

  • #2

    Werner Lang (Freitag, 11 April 2014 17:35)

    In Forbach beginne ich am 5. Mai meine Wanderung nach Rom. Allerdings (ab 70 zulässig) in Jahresetappen.
    1. Tag: Forbach - Hornisrinde - Mummelsee. Hammerharte Höhenmeter. 2. Tag: Mummelsee - Alexanderschanze. Mehr verrate ich nicht.
    Ich verfolge gespannt Deine Tour. Nett geschreiben.


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