Nur Fliegen wär noch schöner!

Zuflucht - Harkhof (20 km)

   Bereits gestern Abend hatte eine Gruppe von Bikern im Restaurant der Zuflucht für ordentlich Remmi-Demmi gesorgt. Natürlich war eine Portion Alkohol im Spiel. Bei ihrem Frühstück ging es fröhlich weiter, auch ohne Alkohol. Es waren keinesfalls junge Rocker aus dem sozial-kreativen Bereich, sondern gestandene Männer zwischen 45 und 50, wie ich heraushörte mit gehobenem beruflichen Hintergrund, die ihrem “Born-to-be-wild“-Hobby nachgehen. Nacheinander fuhren sie gestern vor dem Hotel vor, jeder mit einer dicken blauen BMW, und begrüßten sich im Biergarten mit lautem Hallo. Einer von ihnen war wohl so etwas wie ihr Oberindianer, Typ Bud Spencer, der das Treffen per Internet-Forum organisiert hatte. Man verabredete sich für den Abend in der Zuflucht und fährt am heutigen Samstag im kollektiven Motorradrausch die Schwarzwaldhochstraße und andere bikerfreundliche Strecken ab. Am Nachmittag gibt es irgendwo Kaffee und Kuchen und dann fahren sie alle wieder heim, zum Teil bis in den Heidelberger Raum oder in die Schweiz. Astrein!

   Als die Asphalt-Cowboys ihre Maschinen anwerfen, Gas geben und unter Jubelgeheul abrauschen, mache ich mich auch auf den Weg. Während gestern der Tag der endlosen Fernblicke war, ist heute Waldeinsamkeit angesagt. Von der Zuflucht erstreckt sich ein Bergrücken nach Süden bis ins Kinzigtal hinunter. Diesem Rücken zwischen Wolftal im Osten und Renchtal im Westen folgt der Westweg. Scheinbar endlos zieht sich der Wald dahin. Dafür halten sich die Höhenmeter sehr in Grenzen und auf breiten Forstwegen ist angenehm zu gehen. Damit ich nicht vor Unterbeschäftigung beim Trotten einschlafe, gibt es einige Geröllstrecken, die aber schon zu Ende sind, bevor ich mich richtig über sie aufrege.

   Kurz nach dem Wanderhotel Alexanderschanze berühre ich wiedermal die Schwarzwaldhochstraße -und traue meinen Augen nicht. An der Straße kommt ein junger Mann entlanggestiefelt, unter schwungvollem Einsatz seiner Walkingstöcke, und trägt einen Kleiderschrank auf seinem Rücken. Ok, es war nicht ganz ein Kleiderschrank, aber fast so groß war dieses rucksackähnliche Monstrum schon. Er muss sich richtig nach vorne beugen, damit ihn das Gewicht nicht auf den Rücken wirft und er wie eine gestrandete Schildkröte mit den Beinen strampelt. So kann man doch nicht den Westweg erwandern, geht es mir durch den Kopf, das hält er doch nie durch. Ich bin so geplättet, dass ich erstmal stehenbleibe und eine Weile hinter ihm herstaune. Dann mache ich mich an die Verfolgung.

   Noch ehe ich den Kleiderschrankträger einholen kann, kommt eine sportliche junge Frau im Stechschritt an mir vorbeigerauscht. Sie ist wieder eine von denen, die den mittlerweile klassischen Dreiklang abfragen: Weg - Ziel - Wheelie. Ich antworte schnell, muss ich doch was ganz anderes loswerden. “Sehen Sie mal, was der arme Mensch mit sich rumschleppt!“ Relativ unbeeindruckt antwortet sie mir: “Er wird gleich fliegen.“ Jetzt dämmert es mir. Schon gestern Abend hatte ich bei der Zuflucht fünf Gleitflieger lange Zeit ihre Kreise drehen sehen. Außerdem steht in meinem Wanderführer, dass ich gleich an einem Gleitflieger-Startplatz vorbeikommen werde. Alles klar!

   Als ich endlich zu ihm aufschließe, kommen wir schnell ins Gespräch. Schon sein Vater hatte diesen faszinierenden Sport betrieben, er selbst hatte mit Modellflug angefangen. Das Wort “Thermik“ konnte er wahrscheinlich eher fehlerfrei sprechen als “Teddybär“. Der Gleitfliegersport sei im Schwarzwald sehr verbreitet, da es eine ganze Anzahl von guten Startplätzen gäbe. Oft träfe man sich, gerade an Wochenenden und wenn besonders gute Voraussetzungen herrschten, mit Gleichgesinnten. Gute Thermik erlaube manchmal Flugzeiten von sechs bis sieben Stunden, die - im wahrsten Sinne des Wortes - wie im Fluge vergingen.

   Während er mich ein wenig in Sachen Gleitfliegen schlau macht, erreichen wir den Startplatz. Ein wunderbarer Ort, mit herrlichem Blick ins Renchtal. Wenn er mich jetzt gefragt hätte “Hast du Lust? Wenn du willst, könnten wir gleich einen Tandemflug machen“, ich hätte Ja gesagt. Nur wo hätte ich meinen Wheelie hier oben versteckt?

   Nur zu gerne wäre ich dabeigewesen, wie er sich zu seinem Flug bereitmacht und dann wegschwebt, aber noch ist es bei ihm nicht soweit. Er scheint mit weiteren Fliegern verabredet zu sein, die sich innerhalb der nächsten Stunde hier treffen werden. Ich denke, wenn sie einmal losgeflogen sind, sind sie mit sich und ihrem Gleitschirm allein. Das vorherige Treffen, das gemeinsame Fachsimpeln und der Erfahrungsaustausch gehören aber mit dazu.

   Ich bin jetzt auch allein - mit mir und dem Wald. Die Annahme der holländischen Wirtin vom Ochsenstall, dass am Wochenende mehr Betrieb sein würde, kann ich für die Wanderwege nicht unbedingt bestätigen. Gut, fünf Wanderer und zehn Mountainbiker mögen es auf dem Westweg mehr sein. Vielleicht bezog sie sich aber auch mehr auf den Mummelsee und die Biergärten und Ausflugsgaststätten entlang der Schwarzwaldhochstraße. Mich stört die Einsamkeit auch nicht im geringsten. Herrlich sind z.B. diese ganz ruhigen Momente, wo nichts außer den Vögeln und das Rauschen der Bäume die Ruhe meiner Wegpausen stört. Wieder reihen sich die kleinen Rasthütten entlang des Weges auf wie an einer Perlenschnur. Wieder einmal blicke ich von einer kleinen Bank auf einen dieser fast geheimnisvollen Karseen hinab, diesmal ist es der Glaswaldsee. Durch die dunklen Tannen, die eng um ihn herumstehen und so gut wie kein Sonnenlicht zu ihm dringen lassen, sieht der See in der Tat wie ein dunkles Auge, ja fast unheimlich aus.

   An der Passhöhe Freiersberg, von der aus die Landstraße in jeder Richtung mit 9% Gefälle kurvenreich in die Täler hinabführt, lege ich meine Mittagsrast ein. Ich liege mal wieder auf einer Bank, habe mir meinen Hut ins Gesicht gezogen, damit mich die Sonne nicht so blendet, und verspeise Brötchen, Ei und Mettwurst. Und während ich so speise, merke ich auch, in welcher Beziehung mehr Betrieb herrscht. Alle dreißig Sekunden rast ein Motorrad oder gleich eine ganze Kolonne über die Passhöhe an mir vorbei. Ich gönne den Jungs ja ihren Spaß, aber kann man nicht mal Motorräder mit Fahrradlautstärke erfinden? Also mich nervt das jetzt! Ich kaue schneller - und bin weg.

   Wieder rein in den Wald! Wald, Wald, Wald! Kaum mal freie Blicke. Aber es hat auch seinen Vorteil. Die Sonne brennt regelrecht vom Himmel. Es gibt kaum Wind. Der Wald gibt Schatten, angenehme Kühle. Ich brauche meinen Hut nicht die ganze Zeit zu tragen. Eigentlich mag ich diese Dinger auf dem Kopf nicht.

   Auf einmal öffnet sich der Wald und die Lichtung mit dem Harkhof erscheint fast wie eine Offenbarung: Löwenzahnteppiche auf saftig grünen Weiden, Obstbäume, Kühe und ein Weitblick über das ganze Tal.

Der Harkhof ist noch ein aktiver Bauernhof, allerdings bringt die Lage am Westweg einen lukrativen Nebenerwerb. Eine gemütlich eingerichtete Gaststube, eine große Terrasse mit Biergarten und einige Zimmer bringen gute Einnahmen. Als ich komme, ist der Biergarten fast gefüllt.

   Ursprünglich hatte ich geplant, hier zu übernachten. Aber schon vor zwei Monaten sagte man mir, dass an diesem Samstag leider alles ausgebucht sei. Ich solle doch mal im Kempfenhof im Tal nachfragen, die würden mich auch von oben abholen und am nächsten Morgen wieder hochbringen. Gesagt, getan, gebucht. Die Harkbäuerin frage ich, ob ich meinen Wheelie für die Nacht bei ihnen in der Scheune unterstellen kann, mit dem Transport im kleinen Auto könnte es vielleicht ein Problem geben. Wenn ein Wheelie eine Seele hat, wird er heute Nacht weinen, so allein.

   Während ich eine Tasse Kaffee trinke, grunzen im Stall nebenan die Schweine und ein Traktor fährt mehrere Male vor der Terrasse hin und her. Ich rufe sicherheitshalber nochmal auf dem Kempfenhof an, um sicher zu sein, dass ich dort nicht vergessen worden bin. “Mein Bruder kommt gleich, er muss nur noch die Viecher auf die Weide bringen“, ruft Frau Kempf ins Telefon. “Essen Sie da droben doch noch a Stickerl Kuchen!“ Gesagt, getan, gegessen! - Abgeholt! Alles gut!!!

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmZ2NxbDh3YXNhbUE/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Montag, 14 April 2014 15:37)

    Pfui, schäm dich! hast du denn den Pilgerkodex vergessen? Ein guter Pilger lässt seinen treuen Gefährten niemals über Nacht allein. Das gilt für Pilgerkarren ebenso wie für Pilgerhunde... Also, DU kriegst keinen Sündenerlass...

  • #2

    Der Kronprinz (Dienstag, 15 April 2014 09:59)

    Verräter!!!


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