Ohne meinen Wheelie!

Hausach - Schonach (20 km)

   “Schweißtreibend!“, sagt mein Wanderführer im Vorwort seiner Etappenbeschreibung. “... zählt zu den anstrengendsten Etappen des gesamten Westweges“, “... steile, sich lange hinziehende Steigungen zehren an den Kräften der Wanderer“. Ich bin beeindruckt.

   Schon gestern galt mein Blick vom Spitzfelsen nicht nur der Lage Hausachs im schönen Kinzigtal, sondern auch dem auf der anderen Seite steil aufragenden Farrenkopf. Die Beschreibung spricht immer wieder vom steilen, steinigen Aufstieg zu ihm empor, und auch danach soll es immer wieder schwere Nüsse zu knacken geben. Genauso sprachen Wanderer und mehr oder weniger Einheimische, die ich unterwegs traf. “Da hoch werden Sie mit ihrem Wagen aber Probleme bekommen.“

   Im Laufe des Abends reift bei mir der Gedanke, MIR die angekündigten schweren 1.200 Höhenmeter zwar gerne anzutun, aber nicht mir UND dem Wheelie. Ich greife auf das Angebot der Unterkunft zurück, meinen Lastenträger zur nächsten Unterkunft bei Schonach zu transportieren. Gerne mag man mir das als Schwächeln auslegen, doch ich entscheide für mich, dass es vernünftig ist.

   Mit einer neuen Wasserflasche im Rucksack, die mir die Wirtin besorgt hat, starte ich um 8.30 Uhr zum zweiten Teil des Westweges. Das Kinzigtal, die Trennlinie zwischen Nord-und Südschwarzwald, markiert auch ziemlich exakt die Hälfte der zurückgelegten Kilometer auf dem Westweg. Außerdem habe ich inzwischen 540 gewanderte Kilometer hinter mir, also bereits mehr als ein Viertel meiner Gesamtstrecke nach Rom. Zur Feier des Tages mache ich es mir also heute etwas bequemer, wenn man bei 1.200 Höhenmetern überhaupt von “bequemer“ sprechen will.

   Kurz hinter dem Zentrum geht es auch direkt richtig los. Auf einem engen Serpentinenpfad, links und rechts noch eingefasst durch einen hölzernen Handlauf, steige ich mit bedächtigen Schritten zur Burgruine Husen hinauf. Schon diese engen Serpentinenkehren hätten mir mit dem Wheelie die ersten Probleme bereitet. Die zweiten wären die schmalen, aber sehr hohen Stufen gewesen, die an der Ruine entlangführen. Dann kommt ein freundliches, kleines Hinweisschild: “Ab jetzt geht es steil bergauf!“ Gut, dass man mir das sagt, ich hätte es sonst möglicherweise gar nicht bemerkt. Obwohl, sooo schlimm ist es jetzt erstmal nicht, da habe ich mit meinem zweirädrigen Freund schon andere Sachen gemeistert.

   Aber dann! Es fehlt nicht mehr viel und ich muss mich auf alle Viere niederlassen. Des öfteren suche ich mit den Füßen einen sicheren Tritt, um nicht nach hinten wegzurutschen. Hohe Baumwurzeln helfen mir dabei, wären aber für den Wheelie ein weiteres schweres Hindernis gewesen. Ich kämpfe mich Meter um Meter hoch, zwar immens schnaufend, aber heilfroh, jetzt nicht noch eine zusätzliche Last hochziehen zu müssen. Ich stampfe langsam immer höher und höher. Die Achillessehnen und die Wadenmuskulatur schreien förmlich, ob da irgendjemand bekloppt geworden sei, doch ich kann keine richtige Antwort darauf finden. Über eine Stunde lang geht es richtig zur Sache, dann sehe ich die Umrisse der Farrenkopf-Hütte oben auf dem Gipfel hinter den Bäumen auftauchen.

   Und dann setzt das immer wieder beobachtete und selbst erfühlte Phänomen ein. Man ist kurz davor, etwas geschafft zu haben, und dann geht, so meint man, gar nichts mehr. Die Beine streiken und fühlen sich an, wie am Waldboden festgenagelt. Die Lunge droht zu explodieren und eigentlich stolpert man nur noch weiter. Jetzt ja keine Verschnaufpause mehr, jetzt nur noch rauf, rauf, rauf.

   Dann stehe ich oben. Wie nett, genau in diesem Moment zeigt sich die Sonne. Bisher war es ziemlich bedeckt, der Wind frischte immer mehr auf. Wäre es so geblieben, hätte es ein recht ungemütlicher Aufenthalt hier oben werden können. Und eine Pause brauche ich jetzt. Ich lasse mich auf die Bank fallen, die direkt vor der Hasemannhütte steht, und gratuliere mir erstmal zu meiner richtigen Entscheidung, den Wheelie unten gelassen zu haben. Wohlig räkel ich mich in der Sonne. Sie wärmt angenehm, denn die Luft ist recht frisch und der Wind biestig, auch wenn mir die Hütte genügend Schutz bietet.

   Ich sitze kaum fünf Minuten, als ein dynamischer Mittvierziger um die Ecke herum auftaucht. Er humpelt etwas, trägt eine Kniebandage, macht aber ansonsten noch einen guten Eindruck. Wie ich nach dem ersten Redegeplänkel erfahre, ist er heute auf seinem Westweg den vierten Tag unterwegs, seit Pforzheim. Wie bitte? In drei Tagen von Pforzheim bis Hausach? Ja, so an die 50 Kilometer “mache“ er jeden Tag. Und in vier Tagen will er am Belchen sein, dort wohne er. Sein Schwager hätte mit ihm zusammen die Tour angefangen, habe aber mittlerweile aufgegeben. Sein Knie habe nicht mehr mitgemacht, am Mummelsee war für ihn Schluss. Ihm selbst tue alles weh, Füße, Kopf, alles. -  Warum tut er sich das um Gotteswillen an? Er gibt sich die Antwort selbst. “Ich mach es mal,...“ Dann wollte er wohl sagen “... aber dann nie wieder!“ Er verkneift es sich, wünscht mir noch einen guten Weg und humpelt weiter.

   Leicht abfallende oder ebene Abschnitte auf gut befestigten oder weichen Pfaden wiegen mich nach dem Farrenkopf immer wieder mal in der Vorstellung, dass jetzt alle Schwierigkeiten des heutigen Tages bewältigt seien. Dem ist aber bei weitem nicht so. Zwar sind die ersten 500 Höhenmeter geschafft, der Tag ist es damit aber noch lange nicht. Immer wieder müssen “mal eben so“ zwischendurch 200 Höhenmeter bezwungen werden, allerdings nicht von der Qualität wie zum Farrenkopf hoch. Ich schaffe sie auch recht problemlos, man merkt schon, dass ich mir inzwischen einiges an Kondition angeeignet habe.

   Aber mir fehlt was! Ja, mein Wheelie fehlt mir. Es ist so ruhig hinter mir. Ich merke erst jetzt, dass es nicht nur meine Schritte waren, die ich immer gehört habe. Es war auch das leichte Surren, Klappern oder Rumpeln meines braven Lastenesels, das ich immer und doch irgendwie unbemerkt im Ohr hatte. Morgen, mein Freund, ist das auch wieder anders.

   Beständig bewege ich mich jetzt auf dem Bergrücken zwischen dem Gutach- und dem Enztal. Schnuckelige Rasthütten reihen sich wieder eine nach der anderen hintereinander, Aussichtsfelsen, wie der Huberfelsen und der Karlstein, bringen etwas Abwechslung, ansonsten aber ist es wieder der Wald, Wald, Wald, der meinen Tag bestimmt. Nur die Temperaturen sind heute anders als an den letzten Tagen. Sie sind mit Sicherheit nicht im zweistelligen Bereich, der Wind fegt mir durch die Fleecejacke und lässt die Bäume lautstark rauschen. Kurz vor meinem Ziel habe ich sogar Sorgen, dass ich noch ein nasses Fell bekomme. Und das wäre heute fatal. Mein Anorak, mein Schirm, beide sind beim Wheelie, möglicherweise inzwischen in meiner nächsten Unterkunft. Petrus, mach keinen Quatsch, von Regen war in der Vorhersage keine Rede! Meine Schritte beschleunigen sich. Das ist deshalb auch nicht so schwer, da der Weg seit dem Karlstein seinen Schrecken verloren hat. Leicht auf und ab schwingt er sich nun meinem Ziel entgegen. Die dunklen Wolken drohen gewaltig, werden aber vom Wind schnell weitergetrieben.

   Am frühen Nachmittag erreiche ich das “Vesperstüble Silberberg“ oberhalb von Schonach. Einsam liegt es da am Waldrand, davor eine Wiese, mit herrlichem Blick ins Tal und über die nächsten Höhen. Ich bin sofort begeistert. Nur mein Wheelie steht schon seit einiger Zeit alleine in meinem Zimmer und rührt sich nicht. Er ist hochgradig beleidigt! Es würde mich nicht wundern, wenn er morgen aus Frack ein Rad abwirft.

   Während ich hier schreibe, hüpft in der Diele alle Viertelstunde der Kuckuck aus der großen Kuckucksuhr und kuckuckt fröhlich vor sich hin. Mein Bett ist keine sechs Meter Luftlinie von dieser schönen, holzgeschnitzten Uhr entfernt. Wenn das heute Nacht so weitergeht, drehe ich diesem Vogel noch den Hals um.


Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmTDlaLUszRnZsbHM/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Der Kronprinz (Dienstag, 15 April 2014 19:57)

    50km?!?! Die würde ich am Tag ja nicht mal mit dem Fahrrad schaffen...

  • #2

    Sebastian (Dienstag, 15 April 2014)

    Puh, habe die Strecke mal mit Google Earth abgeflogen. Das war mir anstrengend genug :-)


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