Lecker heiße Linsensuppe

Schonach - Kalte Herberge (26 km)

   Der Kuckuck lebt noch! Entweder er hat in der Nacht geschwiegen oder ich habe sehr fest geschlafen. Jedenfalls höre ich ihn erst wieder um 7 Uhr, aber da geht sowieso mein Wecker.

   Die Wirtin begrüßt mich am Morgen fröhlich und stellt mir alles, was ich zum Frühstück brauche, auf den Tisch. Ohne viel Schnickschnack und Verzierungen, dafür im Preis unschlagbar. “Mit dem Wetter haben Sie wohl Glück. Ich gönne es Ihnen ja auch, aber wir Bauern könnten dringend etwas Regen gebrauchen. Das Gras wächst nicht mehr. So ein Tag Landregen würde erstmal schon reichen.“ Ich kann ihre Sorgen verstehen, mein Mitgefühl geht aber nicht so weit, dass ich Landregen herbeisehne. Meinetwegen ein paar Schauern in der Nacht, das wäre doch ein Kompromiss, oder? Beim Abschied wünsche ich ihr von Herzen eine gute Heuernte und ab der nächsten Woche auch etwas Regen - aber nicht für die Schweiz.

   So anstrengend es gestern auch war (auch ohne Wheelie!), heute liegt wieder eine Genusswanderstrecke vor mir. Die Etappe bis zur Kalten Herberge führt mit nur geringen Höhenunterschieden über die sanft gewellten Bergkämme des mittleren Schwarzwalds. Es macht schon richtig Freude, die Karte zu lesen: Kaum Höhenlinien sind zu kreuzen, der Weg führt eher an ihnen entlang, kleine Sträßchen sind dabei, d.h. der Wheelie schnurrt, der Anteil von grüner und weißer Fläche ist ungefähr gleich, d.h. es geht durch Wald und in gleichem Maße durch eine offene Wiesenlandschaft oder am Waldrand entlang, und das Symbol für “gute Aussicht“ findet sich in nahezu regelmäßig kurzen Abständen.

   Beeindruckend sind für mich auf dieser Etappe die vielen altehrwürdigen Bauernhöfe, manche von ihnen ungeheuer groß, mit vielen kleinen Fenstern und den weit hinuntergezogenen Walmdächern. Einige Generationen waren früher wohl unter einem Dach untergebracht, dazu noch Mägde und Knechte. Nahezu jeder Hof besitzt noch sein eigenes großes Kruzifix, entweder direkt an der Hauswand angebracht, wie beim Wolfbauernhof, oder als Bildstock an der Hofzufahrt. Bei vielen dieser in die Jahre gekommenen Bauernhäuser muss man aber leider auch feststellen, dass ihre Zeit vorbei ist, sie nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt werden und langsam verfallen. Kleinere, relativ neue Häuser stehen daneben, vielleicht noch für eine Familie, recht nett anzuschauen zwar, aber nicht mehr mit dem Charakter wie die alten.

   Bald nach dem Wolfbauernhof erreiche ich ein Hochmoorgebiet und auf einem langen Bohlensteg den verwunschenen Blindensee. Der Name kommt nicht, wie man vermuten könnte, von dem dunklen, unergründlichen Moorwasser, sondern vom nahegelegenen Blindenhof, zu dem der See auch heute noch gehört. Der Hof selbst ist im 17. Jh. nach seinem erblindeten Besitzer benannt worden. Ohne die geringste Bewegung liegt die Wasseroberfläche des Sees vor mir und spiegelt das Blau des Himmels und die Tannen ringsum. Ein Entenpärchen zieht in trauter Zweisamkeit seine Runden, er schnattert leise hinter ihr her. Wer weiß, was es zwischen den beiden so zu sagen gibt.

   Den ganzen Weg über bewege ich mich heute auf mindestens 1.000 m Höhe. Die Luft ist klar und kalt, auch wenn die Sonne scheint. Und wenn die sich dann mal für ein paar Minuten hinter einer größeren Schäfchenwolke verzieht und ein leichter Wind aufkommt, ist es empfindlich kalt. Da bin ich mit meiner Fleecejacke schon grenzwertig unterwegs. Dafür ist die Luft wie reingewaschen und die Sicht noch klarer als in den letzten Tagen. Ein gutes Mittel, um gegen kühle Temperaturen anzugehen, ist einfach schnelleres Gehen. Ein Mann von ca. 50 Jahren, dem ich kurz vor der Weißenbacher Höhe begegne, scheint das genauso zu sehen und er fliegt mir nahezu entgegen. Als wir ungefähr auf gleicher Höhe sind, verlangsamt er plötzlich seinen Schritt, lacht über das ganze Gesicht, hält an, streckt mir seine Hand entgegen und ruft: “Na, auch auf einer längeren Tour?“ Die Art der Fragestellung und die Größe seines Rucksacks machen deutlich, dass er etwas mehr vorhat, als den Westweg zu erwandern. Natürlich stelle ich jetzt dazu die passende Frage und er erklärt sichtlich stolz, dass er auf dem E1 zum Nordkap unterwegs sei. Ein halbes Jahr habe er sich dafür vorgenommen, um sich diesen Traum zu erfüllen. Er sei Schweizer und habe den Weg Richtung Süden bis tief nach Italien hinein schon hinter sich gebracht. Jetzt sei der Kurs Richtung Norden dran. Er fragt mich über meinen Weg nach Rom aus, ich lasse mir die genauere Streckenführung durch Schweden erklären. Er klärt mich über die Preisgestaltung der Schweizer auf, ich erzähle ihm einiges über den Kungsled in Schweden, den er in einigen Monaten auch unter den Füßen haben wird, und schwärme vom schwedischen Hüttenwesen. Während ich mit ihm spreche, merke ich, wie in dem Mann ein Feuer brennt, wie er sich auf dieses halbe Jahr der großen Freiheit freut. Es gibt eben auch noch andere Verrückte!

   Bei der Martinskapelle am Kolmenhof betrete ich geografisch herausragendes Gebiet. Ich komme zur Europäischen Wasserscheide zwischen Donau und Rhein. Steil fallen hier die Hänge nach den Rheinzuflüssen Elz und Gutach ab, sanft dagegen fließen die Bergkuppen nach Osten zur Donau. Ein komischer Gedanke: Alles Wasser rechts von mir landet irgendwann einmal in der Nordsee, jeder Tropfen links von mir im Schwarzen Meer. Besonders deutlich wird das keinen Steinwurf vom Kolmenhof entfernt. Nahe beim Gasthof, in einer kleinen Senke, entspringt die Breg, neben der Brigach der zweite Quellfluss der Donau, des längsten europäischen Stromes. Aber nicht “Bregquelle“ steht auf der Bronzeplatte, die auf einem Felsstein direkt bei der Quelle angebracht ist, sondern “Donauquelle“.

   Schon seit fast 500 Jahren haben die Städte Furtwangen und Donaueschingen Knatsch miteinander, wer denn nun die richtige Donauquelle sein eigen nennen darf. Viele frühere Schülergenerationen haben noch gelernt, dass beim Zusammenfluss der Quellflüsse Breg und Brigach in Donaueschingen die Donau entsteht. Das behaupteten auch schon im 16. Jh. die Fürsten von Fürstenberg, in deren Schlossgarten die beiden kleinen Flüsse zusammenkamen. Inzwischen ist aber wissenschaftlich festgestellt, dass sich die geographische Quelle der Donau zweifelsfrei bei der Bregquelle am Kolmenhof befindet. Denn die Breg ist im Vergleich zur Brigach der wasserreichere und mündungsfernere Quellfluss der Donau. Tja, Donaueschingen, verloooren!!!

   An der beeindruckenden Felsformation der Günterfelsen vorbei komme ich auf den 1.149 m hohen Brend, dem höchsten Punkt der Europäischen Wasserscheide. Da die kühle Witterung mich kaum auf Betriebstemperatur bringt, ich manchmal sogar regelrecht fröstele, steht mir der Sinn nach einer warmen Pause, sprich nach einem beheizten Raum in Verbindung mit einer heißen Suppe. Am bewirtschafteten Naturfreundehaus gehe ich noch vorbei, vielleicht habe ich ja vom Gasthaus neben dem Brendturm zusätzlich eine schöne Aussicht ins Tal und bis zum Feldberg inclusive. Also gehe ich die fünf Minuten noch weiter. Ergebnis: “Dienstag Ruhetag“. Was sagt mein lieber Sohn Sebastian immer zu mir, wenn ich bei ähnlichen Situationen pflege aus dem Hemd zu springen? “Du sollst dich nicht immer so aufregen über Dinge, die du nicht ändern kannst.“ Also, pff, ich rege mich jetzt überhaupt nicht auf und gehe einfach weiter. Die nächste Gaststube hat bestimmt auf!

   Und so ist es! Der “Goldene Rabe“, drei Kilometer weiter, ist tatsächlich geöffnet. Drinnen ist es absolut ruhig und die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Altes, aber auch irgendwie stilvolles Mobiliar, dunkle Holzvertäfelung an den Wänden, Fotos aus vergangenen (besseren) Tagen, Jagdtrophäen, u.a. ein mächtiger Karibu-Kopf - und ein gewaltiger grüner Kachelofen. Und der bollert! Es ist muckelig warm und die Wirtin, die in Ehren mit ihrem Haus alt geworden ist, begrüßt mich freundlich und gibt mir direkt und wie selbstverständlich die Speisekarte. Direkt springt es mir ins Auge: “Eintopf“. Ich frage nach, was ich darunter zu verstehen habe und Frau Wirtin schwärmt sofort von ihrer Linsensuppe mit Fleisch- und Mettwurst. “Da bleibt der Löffel drin stehen, junger Mann. Von Muttern selbst gemacht!“ Das ist es!

   Eine Viertelstunde später steht ein gehäufter Teller voll herrlichstem Linseneintopf vor mir. Ich könnte mich jetzt im Moment noch vor Wonne beschlabbern, wenn ich auch nur daran denke. Beim Kauen und Schlucken frage ich die alte Dame, wie alt der Goldene Rabe denn schon sei. “Das weiß so genau keiner. Irgendwann ist er mal abgebrannt bis auf die Kellermauern. Auf denen ist dann 1929 dieser Bau neu draufgesetzt worden.“ Ich betone mindestens dreimal, wie lecker die Suppe ist, und ihre kleinen Augen leuchten jedesmal ein wenig mehr.

   Von Neueck aus geht es mehr oder weniger in unmittelbarer Nähe der Schwarzwaldhochstraße entlang. Als mich die rote Raute schon fast in Sichtweite zur Kalten Herberge nochmal einen Berg hochschicken will, verweigere ich ihr den Gehorsam und marschiere nun am Rande der Straße meinem Ziel entgegen.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmSEV6Xy0ySVhaTjA/

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Mittwoch, 16 April 2014 09:38)

    Das hört sich tatsächlich nach Genuss wandern an. GO Wanderer GO!!!


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