Upps, schon da?

Kalte Herberge - Hinterzarten (20 km)

   Die Kalte Herberge hatte gestern ihren Ruhetag. Montage und Dienstage werden dafür immer gerne genommen. Mich traf das aber nicht unvorbereitet. Schon bei der Reservierung hatte man mich darauf hingewiesen. Übernachtungsgäste war man zwar bereit aufzunehmen, aber ein Verzehr irgendwelcher Art war nicht möglich. Doch diesbezüglich gab es ein Angebot: Der Wirt eines alten Gasthauses, etwa fünf Kilometer von der Schwarzwaldhochstraße entfernt ins Tal hinab, holt Gäste zum Abendessen ab und bringt sie auch wieder zurück. So hat er zumindest dienstagabends einen kleinen Zugewinn und die Gäste der Kalten Herberge werden satt. Zwei Westweg-Wanderinnen (Mutter und Tochter) mit Hund und ich nehmen das Angebot an, die Wirtin von der Kalten Herberge ruft für uns an und bestellt für 19.30 Uhr das Rouladen-Taxi, welches dann auch pünktlichst vor der Tür steht.

   “Rouladen-Taxi“ deshalb, weil wir alle drei eine Roulade mit Spätzle bestellten. Die Wahl fiel uns nicht schwer, denn die Speisekarte gab nicht allzuviel her. Das hatte aber einen Grund. Unter der kleinen Speisekarte stand: “Anstelle einer Babypause habe ich mein Speisenangebot verringert. Ich bitte um Verständnis! Die Wirtin“ Unseres großen Verständnisses konnte sie sich sicher sein, denn zum einen waren die Rouladen richtig lecker und zum anderen lief die Ursache ihrer Babypause plappernd und quiekend die ganze Zeit im Gastraum rum und unterhielt ihre Eltern und die Gäste. 15 Monate alt und ein Energiebündel vom Feinsten. Mama platzte bald vor Stolz über ihre kleine Tochter, während sie uns bediente, und Papa saß nur die ganze Zeit auf einem Stuhl und beobachtete verträumt und verliebt jeden Schritt seines Töchterchens. Spielzeug sah ich nicht im Gastraum, das heißt aber nicht, dass die Kleine nichts zum Spielen hatte.

   Mit wachsender Begeisterung spielte sie mindestens eine halbe Stunde das Spiel “Ich bring Bier“. Dabei rannte sie mit ihren kleinen Dackelbeinen immer wieder hinter die Theke, nahm sich ein oder zwei leere Bierflaschen aus einem Kasten und brachte sie unter Wonnegeheul zu ihrem Papa. Papa stellte die Flaschen auf den Stammtisch und Madame rannte zurück zur Kiste, um Nachschub zu holen. Irgendwann war die Kiste leer, Papa nahm das Kind auf den Arm und beide beklatschten gemeinschaftlich das tolle Ergebnis. Danach wurden die Flaschen auf demselben Weg wieder nach und nach zurück in die Kiste geschafft. Und das ganze ungefähr fünfmal hintereinander. Als dieses Spiel dann doch mal beendet war, stand als nächstes “Flaschen kullern“ auf dem Programm. Mit Händen, Füßen oder mit der Stirn wurde jetzt eine Flasche durch den gesamten Raum getrieben, immer begleitet von jauchzender Freude des Kindes und den liebenden Blicken und dem Applaus der Eltern. Daneben stand die ganze Zeit der kleine Haushund, Marke “Schwarzwälder Allerlei“, legte mal den Kopf nach links oder nach rechts und schlug dabei einen immer wieder gleichen Takt mit seinem Schwanz auf den Dielenboden. Das war ganz großes Kino!!

   Mutter und Tochter sind noch nicht beim Frühstück erschienen, als ich mich wieder auf den Weg mache. Ich falle wieder auf den blauen Himmel und auf die strahlende Sonne herein und merke wieder mal nach den ersten paar Schritten, dass es saukalt ist. Anstatt direkt anzuhalten und den über dem Wheelie hängenden Anorak über die Fleecejacke zu ziehen, marschiere ich trotzig weiter. Ich will einfach nicht, dass mir jetzt zu kalt ist, ich will los. “Marschieren“ ist nun auch der richtige Ausdruck, denn ich habe mich entschieden, die ersten acht Kilometer an der Schwarzwaldhochstraße entlangzutatschen. “Streckemachen“ nenne ich das. “Bescheuert“ nennen das vielleicht andere.

   Außerdem gehe ich heute sowieso nicht lupenrein den Westweg. Dieser darf natürlich aus fremdenverkehrstechnischer Sicht den Ort Titisee nicht auslassen und macht deshalb, bevor er auf den Feldberg zusteuert, einen Riesenumweg Richtung Osten. Doch Titisee ist zum einen nicht gerade eine Perle, die man gesehen haben muss, und zum anderen ist es eine Touristenfalle erster Güte. Japaner und Amerikaner mögen daran ihren Gefallen finden, ich nicht! Ich lasse Titisee im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und gehe direkt auf Hinterzarten zu.

   Am alten Gasthaus Thurner verlasse ich nach eineinviertel Stunden und acht Kilometern Streetrunning die Schwarzwaldhochstraße und begebe mich wieder in die Ruhe des Waldes. Dabei gefällt mir nicht nur die Ruhe, sondern auch die Tatsache, dass es dort heute doch erheblich windgeschützter ist, als in den offenen Bereichen. Die Temperaturen liegen heute nicht viel im Plusbereich, und wenn einen noch der Wind packt, fühlt man nur noch Minus. Trotzdem ist der Weg herrlich, wie aus dem Schwarzwald-Bilderbuch. Riesige Tannen bestimmen die Wälder, mit Teppichen von hellgrün leuchtenden Blaubeerbüschen, wieder Postkarten-Bauernhöfe inmitten weiter Wiesen, deren Gras aber gerade mal zum Bewuchs eines Golfplatzes reicht. Und über allem ein blauer Himmel mit nur vereinzelt kleinen weißen Wolken. Kaum zu glauben, dass diese Wetterpracht übermorgen zunächst mal zu Ende sein und es (Schnee-)Regen geben soll. Aber der Bauer freut sich.

   Das erste Mal sah ich ihn vom Brend, jetzt ist er schon viel näher: der Feldberg. Nach einem leichten Anstieg nahe der Weißtannenhöhe erscheint er plötzlich wieder über der Kuppe einer kleinen Straße. Und sein ganzes Massiv ist weiß! Ab einer Höhe von ungefähr 1.300 m ist wohl noch Winter, obwohl die Temperaturen unterwegs auch dafür sprechen. Man kann es von hier aus nicht recht beurteilen, dennoch ist die Frage: Wie komme ich da oben voran? Werde ich auf den Straßen bleiben müssen, die aber weite Umwege gegenüber dem Westweg bedeuten würden? Werde ich durch Altschnee stapfen und mühsam meinen Wheelie da durchquälen müssen? Ich werde sehen.

   Bald danach sehe ich verblüfft ein bemerkenswertes Hinweisschild: “Hinterzarten 6 km“. Nur noch sechs Kilometer? Da kann man mal sehen, wie wenig gut es ist, wenn man keine Wanderkarte dabei hat, sondern sich nur auf den kleinen Kartenausschnitt im Wanderführer verlässt. Ich hätte jetzt einen anderen Weg genommen, der zwar Titisee ignoriert, aber trotzdem weiter ist als sechs Kilometer. Umso besser! In der schönen Gewissheit, schon bald am Ziel zu sein, mache ich Rast in der warmen und voll besetzten Gaststube des oberhalb von Hinterzarten gelegenen Gasthauses Heiligenbrunnen bei der gleichnamigen Kapelle. Der Legende nach soll sich die Heilige Notburga, die Schutzheilige aller Schwangeren und Gebärenden, einst nach langer Wanderung hier niedergelassen haben. Da sie durstig war, klopfte sie mit ihrem Stab auf einen Stein und sofort begann die Quelle zu sprudeln. Noch heute ist die Quelle das Ziel vieler Frauen aus der Umgebung. Quelle und Kapelle sind im Besitz der Wirtsfamilie.

   Bei heißem Apfelstrudel und heißem Kaffee höre ich im Radio die Durchsage der aktuellen Tagestemperaturen: “Freiburg 10°C - Feldberg -4°C“. Wenn jetzt Niederschlag kommen soll, kann das doch nur Schnee werden, oder? Na prima! Na und?

   In aller Gemächlichkeit lasse ich mich nach Hinterzarten hinuntertreiben. Der Feldberg verbirgt sich immer mehr hinter den Hinterzartener Hausbergen, dafür tun sich immer deutlicher die vier Skisprungschanzen hervor, ehemals die “Heimat“ der letzten ganz Großen: Georg Thoma, Olympiasieger von 1960 in der Nordischen Kombination, sowie Dieter Thoma, Sven Hannawald und Martin Schmitt, die “Schwarzwald-Adler“ eben. Auch wenn die Adlerschanze, die größte der vier Sprungschanzen in Hinterzarten, nicht zu den größten in Deutschland zählt, so weiß ich aber ganz genau, als ich an deren Auslauf im Adler-Skisprungstadion stehe, dass ich da oben drauf kaum stehen, geschweige denn mit Skiern runterspringen könnte.

   Als ich bereits um kurz vor 14 Uhr bei meinem kleinen Hotel am südlichen Ortsrand von Hinterzarten erscheine, staunt der Besitzer nicht schlecht, dass ich schon auf der Bidfläche erscheine. Ich kann ihn gut verstehen, mir geht es ja nicht anders.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmLWV6eHlYSHRlX1k/

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Donnerstag, 17 April 2014 09:29)

    Auweia!! Ich halte die Daumen für den Feldberg...


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