Auf dem “Höchsten“

Hinterzarten - Feldberg (18 km)

   Beim Frühstück sehe ich den Raureif auf den Wiesen, sofern sie nicht schon um 7.30 Uhr von der Sonne beschienen sind. Heute nehme ich mir fest vor, den Anorak anstelle der Fleecejacke anzuziehen. Wahrscheinlich ist das falsch.

   Herr Thomé, der Chef des Hauses, ist sehr um mich besorgt, fragt immer wieder nach, ob denn alles noch in Ordnung sei. Es ist wirklich mehr als das. Ich bin der einzige Gast in dem kleinen Hotel, das eher an eine Pension erinnert, aber das Frühstücksbuffet ist mindestens für fünf Personen ausgelegt. Das hatte ich auch schon mal anders und da lagen die Übernachtungskosten deutlich drüber.

   Als ich meinen Wheelie anklemme, setzt sich Herr Thomé ins Auto und fährt zum Großeinkauf. Für heute Abend haben sich einige Gäste angekündigt, die Osterfeiertage beginnen. Er zeigt mir noch den richtigen Weg und fährt los. Da das Haus am südlichen Ortsrand hoch am Hang liegt, bin ich sofort wieder in den Wiesen. Auch hier in Ortsnähe ist von Kühen noch nichts zu sehen, obwohl ich sie unterwegs bei den Bauernhöfen oft brüllen höre. Aber was sollen sie auch auf den Weiden, wenn noch kein Gras zum Fressen drauf ist.

   Der Weg ist anfangs gnädig mit mir. Er lullt nicht ein, verlangt aber auch nicht, dass man sofort von Null auf Hundert hochfahren muss. So hab ich's gern. Ich bin noch auf der Höhe im Wald, als ich vor mir Autoverkehr und einen Zug höre. Ich weiß, dass ich richtig bin. Jenseits des Hügels kommt die Bundesstraße von Titisee-Neustadt hoch und fährt über Bärental zum Feldbergpass. Nicht ganz so weit fährt der Zug, der als “Höllentalbahn“ von Freiburg kommt, in Titisee-Neustadt praktisch eine 180°-Kehre dreht und dann parallel zur Bundesstraße bis nach Bärental tuckert. Damit hat Bärental mit 940 m den höchsten Bahnhof Deutschlands.

   Für mich geht es ab Bärental 350 Höhenmeter rauf zum Zweiseenblick. Zunächst sehe ich aber nur mal ab und zu den Feldberg, der immer näherrückt, sonst nur Wald. Was den Schnee auf dem Feldberg betrifft, werde ich so langsam optimistisch. Ich sehe zwar noch Altschneereste da oben, aber die konzentrieren sich wohl mehr auf die mir zugewandte Nordseite. Da werde ich aber nicht wandern. Der Skibetrieb ist auch schon eingestellt, wie ich höre, also werde ich auf meinem Weg nicht versinken. Allerdings, je höher ich zum Zweiseenblick emporsteige, desto öfter treffe ich an kleinen Lichtungen links und rechts auf weiße Flecken. Noch höher liegt sogar noch Schnee auf dem Weg, den mein Wheelie aber gekonnt umkurvt.

   Meinen Anorak könnte ich mir vom Leibe reißen und im hohen Bogen wegschmeißen. Ich dampfe und mein heißer Atem setzt sich auf meinen Brillengläsern ab. Zum Brilleputzen habe ich keine Hand frei, die werden beide am Wheelie gebraucht. Dann laufe ich eben so gut wie blind oder peile ab und zu unter den Brillengläsern hervor. Schier endlos ziehen sich die Kurven bergauf und als dann auch noch die breiten Forstwege zu holprigen Pfaden werden, verlangt es mir nach jemandem, der mich motivieren möge.

   Nach gefühlten fünf Stunden (in Wirklichkeit ist es vielleicht eine) werden die Bäume endlich kleiner, der Wald lichter. Ein Schild “Aussicht 30 m“ zeigt nach links, nochmal ein Materialtest für meinen Wheelie über klobige Granitfelsen hinweg und ich habe die beeindruckende Felsformation erreicht, von der der Ausblick in der Tat umwerfend ist. Im Osten der Titisee und weiter noch die Schwäbische Alb, im Süden der Schluchsee... und weit darüber hinaus... tatsächlich!... schneebedeckte Alpengipfel. Ich lass mich auf die Bank fallen - und genieße. Mindestens fünf Minuten bewege ich mich nicht, nehme nur diesen Anblick in mich auf. Es sind solche Momente, die anstrengende Phasen so schnell vergessen machen. Erst danach nehme ich mir Zeit für die Banane und den Apfel, die heute Morgen noch schnell den Weg von Herrn Thomés Frühstücksbuffet in meinen Rucksack gefunden haben.

   Vom Zweiseenblick zum Feldbergsattel ist es nur ein Auslaufen. Immer bergab, zum Teil am Hang des Menzenschwandertals entlang, verläuft der Westweg bis zum großen Caritasheim an der Passstraße. Um 12 Uhr schon bin ich an der Jugendherberge Hebelhof am Feldbergpass. Bis vor wenigen Tagen war hier noch Skisaison. Jetzt stehen die Lifte still, die Skibars sind geschlossen und in den kleinen Skimodeboutiquen ist Ausverkauf. “Alles muss raus!“ Gerne hätte man hieraus noch ein Osterferiengeschäft gemacht, aber leider, leider... die Natur lässt sich da eben nicht reinreden.

   In der Jugendherberge kann ich erst um 16 Uhr einchecken. Auch ins Zimmer kann ich noch nicht. Aber das will ich jetzt auch noch gar nicht. Draußen scheint die Sonne nach wie vor von einem stahlblauen Himmel - aber das soll sich ändern. Für morgen ist Regen, ja vielleicht sogar Schnee vorhergesagt. Bei dem Wetter im Moment kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen, aber es wird schon stimmen. Deshalb will ich nicht erst morgen auf den Feldberggipfel, sondern heute noch. Der Wheelie landet mit Hilfe der Herbergsmutter im jetzt leeren Skikeller und ich ziehe nochmal los.

   Eineinhalb Stunden brauche ich bis zum Gipfel mit der großen Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes. 1495m hoch, höher geht's in deutschen Mittelgebirgen nicht. Auf der kahlen Hochfläche vom Hotel Feldbergerhof über Bismarckdenkmal und Feldbergturm bis hin zum Gipfel tummeln sich die Menschen, als wenn sie diesen vielleicht vorerst letzten schönen Tag noch auskosten wollten. Erste Warnzeichen zeigen sich schon am Himmel: Cirruswolken, eigentlich ein sicheres Zeichen für bevorstehenden Regen. Und weit im Westen, über den Vogesen, zeigen sich schon mächtige Wolkenbänke.

   Im Moment schaue ich aus dem Fenster meines kleinen Jugendherbergszimmers. Der Himmel ist - blau. Ganz im Westen, wo die Sonne gerade untergegangen ist, verfärbt er sich zu einem hellen Orange.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Sebastian (Donnerstag, 17 April 2014 23:49)

    Wahnsinn, dass du es schon wieder so weit geschafft hast. Und das zu Fuß. Weiter so!

  • #2

    Der Kronprinz (Dienstag, 22 April 2014 09:58)

    Geil!!! GO Wanderer GO!!!


Translation: