Winterwanderung

Feldberg - Wieden (23 km)

   Es gibt noch kinderreiche Familien in Deutschland. Und vier davon machen gerade Osterurlaub in der Jugendherberge Hebelhof auf dem Feldbergpass. Macht zusammen vier Mamas, vier Papas und 15 Kinder. Hei, das ist beim Frühstück so wie bei einer Klassenfahrt. Man ist unter Gleichgesinnten, sieht alles nicht so eng, es sind ja Ferien und die Kinder sollen ihren Spaß haben. Der Geräuschpegel ist entsprechend und mir macht das überhaupt nichts aus, habe ich doch gleich draußen wieder meine Ruhe.

   Ich sitze mit dem Rücken zum Fenster, als die beiden mir gegenübersitzenden etwa Sechsjährigen die Augen aufreißen und gemeinsam losbrüllen: “Es schneit!!!“ Alle anderen 13 Kinder springen von ihren Stühlen auf und rennen ans Fenster, wobei eine wilde Hummel gegen meinen Tisch stößt und der Kaffee in meiner Tasse überschwappt. Wahrscheinlich hatten alle gehofft, ihre Ferien hier im Schnee verbringen zu können, mit Skifahren, Rodeln, Schneemann bauen. Und als sie hier ankamen, war fast alles grün. Jetzt hoffen sie. Vielleicht klappt es doch noch!? Die Eltern und auch ich bringen es nicht fertig, ihnen diese Hoffnung zu nehmen.

   Jetzt zeigt es sich, wie richtig es war, gestern noch zum Feldberggipfel hochzugehen und die Ausblicke zu genießen. Heute kann ich gerade mal 30 Meter den Hang rauf oder runter schauen, dann verschwindet alles in einer grauen Nebelsuppe. Die Kabinenbahn vom Feldberger Hof auf den Seebuck fährt zwar in die tiefhängenden Wolken hinein, aber für wen? Kein Mensch ist irgendwo zu sehen.

   Da ich gestern bereits fleißig war und praktisch im Vorgriff alle Wanderstationen auf dem Feldbergplateau “abgegrast“ habe, kann ich mir heute den Aufstieg nach ganz oben sparen. Nach den ersten Höhenmetern nutze ich einen ebenen Forstweg am Hang entlang, lasse den Gipfel des “Höchsten“ rechts liegen und gelange so mühelos bei der Todtnauer Hütte wieder auf den Westweg, der hier vom Feldberggipfel runterkommt. Unterwegs rinnen die Bäche mit Schmelzwasser die Wiesen hinunter und begleiten meine Schritte mit einem beständigen Plätschern und Gurgeln. Dort, wo schon von jeher die Wasserrinnen zu Tal fließen, blühen die Sumpfdotterblumen, dass es eine Pracht ist.

   Ab der Todtnauer Hütte ist erstmal Schluss mit lustig. Es geht hoch auf den Stübenwasen. Normalerweise dürfte das kein Problem sein, sehr steil geht es nicht rauf, auch nicht sehr lange. Aber, warum auch immer, scheinen sich die Schneewolken der vergangenen Wochen am Stübenwasen besonders gerne geleert zu haben, denn während ringsum nahezu alles grün ist, häufen sich auf dem Weg dieses lang gestreckten Bergrückens die Altschneefelder. Hinzu kommt, dass, gleichlaufend mit dem Westweg, der Skifernwanderweg Schonach - Belchen hier entlangläuft, der natürlich bis zuletzt gepflegt und befahren wurde. Dadurch hat sich auf dem Weg die Schneedecke verfestigt und denkt noch nicht daran, sich in Wasser aufzulösen. So kommen mein Wheelie und ich doch noch in den “Genuss“ einer schönen Schneewanderung, die uns aber beide gar nicht so recht begeistert. Weiterhin entschwindet die rote Raute für eine Weile meinem geschulten Trapperauge und für einige Zeit nagt in mir der Zweifel, ob ich denn überhaupt noch richtig bin. DEN Weg wieder zurück und nach dem Zeichen suchen? Och nö, bitte nicht!

   Als ich es dann wieder vor mir sehe und ein kleiner Jubler meine Lippen verlässt, bin ich auch schon oben auf der weiten Hochfläche. Wie viel einfacher es doch ist, auf ebener Fläche oder sogar bergab über Altschnee zu gehen und wie gleichzeitig entspannter, wenn man weiß, dass man auf dem richtigen Weg ist.

   So dauert es nicht lange, bis vor mir der große, idyllisch gelegene Berggasthof Stübenwasen auftaucht. Die Kälte krabbelt so langsam in mir hoch, aus den Schneeflocken ist inzwischen leichter Nieselregen geworden, der Gasthof drückt schon von außen die pure Behaglichkeit aus, warm scheinende Stubenlampen lassen Gemütlichkeit bis nach draußen dringen, ich denke über eine Tasse heißen Kakao nach - und bin dran vorbei. Erst nach mindestens zwei Stunden wird gerastet und ich bin erst seit eindreiviertel Stunden unterwegs.

   Dafür ist es dann am Waldhotel an der Passhöhe Notschrei soweit. Jetzt brauche ich aber auch wirklich etwas Warmes. Was liegt da nahe? Kaffee und Suppe! So geschieht's! Im gemütlichen Speiseraum ist nichts los. Es ist Mittagessenszeit und kein Mensch ist da. Liegt es am Wetter? Oder steht einem der Sinn am Karfreitag nicht unbedingt danach, mittags essen zu gehen? Mir schmeckt jedenfalls die Spargelcremesuppe und auch der Kaffee.

   Im Vorwort der Speisekarte finde ich übrigens die Erklärung für den etwas eigentümlich anmutenden Begriff für den hiesigen Pass Notschrei. Er verbindet Todtnau im Wiesental mit Überried im Dreisamtal. Die Straße wurde 1848 fertiggestellt. Der Name “Notschrei“ stammt vom Hilferuf der Wiesentäler Gemeinden, die - von Hunger und Armut geplagt - eine bessere Verbindung nach Freiburg forderten, um ihre Ware absetzen zu können. Ihr “Notschrei“ wurde vom Großherzogtum Baden erst erhört, als die Wiesentäler offen ihre Sympathie mit der Badischen Revolution bekundeten.

   Aufgewärmt und frohen Mutes mache ich mich an den Rest von heute. Auf der freien Fläche der ausgedehnten Weiden oberhalb des Wiedener Ecks trommeln mir dicke Graupelkörner auf meinen Hut. Als ich den Berggasthof auf der gleichnamigen Passhöhe erreiche, könnte ich eigentlich fertig sein für heute, doch als ich vor einigen Wochen buchen wollte, waren mir die Tarife entschieden zu hoch. Ich entschied mich damals schon für eine kleine Pension unten im Tal, in Wieden.

   Geführt von meinem Navi schlängel ich mich zu Tal, nur weiß mein Navi nicht, dass manche Wege nur begrenzt begehbar sind. Teilweise sind sie nämlich gleichzeitig auch Teil von Viehweiden. Als ich mal wieder etwas fassungslos vor einem Stromzaun stehe, ertönt vom höher gelegenen Bauernhof eine Frauenstimme. “Warten Sie, ich schalte eben den Strom ab!“ So gelingt es mir relativ stressfrei, mich und meinen Wheelie unter dem Stromzaun herzukriegen. Danke, Frau Bäuerin!

   Adelheid, von der gleichnamigen Pension, ist ganz aufgebracht, als sie mich, recht nass und aufgeweicht, vor der Haustür stehen sieht. “Kommen Sie schnell rein, junger Mann (!), bevor Sie sich noch erkälten. Ich habe ja ganz fest gedacht, dass gleich noch das Telefon geht und Sie für heute absagen. Kommen Sie, Ihre Sachen kommen alle in den Heizraum, und Sie selbst wickeln sich in die Bettdecke ein. Dass Sie mir ja nicht krank werden! Sie waren doch der, der nach Rom unterwegs ist, nicht wahr?“ Ihre Fürsorge ist umwerfend und ich tue, wie mir geheißen.

   Obwohl sie nicht sicher war, ob ich überhaupt komme, ist das Zimmer angenehm geheizt. Das hatte ich auch noch nicht so oft. Es ist groß und gemütlich und nach der heißen Dusche lege ich mich ins Bett und wickel mich in die Decke ein. Recht so, Adelheid?

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Renate (Samstag, 19 April 2014 13:04)

    Hallo Reinhard,
    ja - ist recht so! Es war schon immer gut, auf fürsorgliche Frauen zu hören :)
    Es ist wie immer schön, deine ausführlichen Schilderungen zu lesen. Ich wünsche dir feine Ostertage, vielleicht siehst du ja noch den Osterhasen, du bist ja immer früh unterwegs :)
    Weiterhin alles Liebe und nette Begegnungen auf deinem Weg.
    Liebe Grüße
    Renate

  • #2

    Der Kronprinz (Dienstag, 22 April 2014 14:48)

    Haha. Da wird der alte vadder noch bemuttert...


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