Adieu Schwarzwald!

Haldenhof - Kandern (22 km)

   Als ich in den Frühstücksraum komme, werde ich mit einem fröhlichen “Frohe Ostern!“ begrüßt. Ich zucke etwas zusammen. Das hätte ich ja fast vergessen! Wenn man so lange unterwegs ist, bekommt man den Kalender nur schwer auf die Reihe. Natürlich grüße ich genauso fröhlich zurück und werde im nächsten Moment von der Osterdeko am Frühstücksbuffet, an den Tischen und überhaupt überall im Haus nahezu erschlagen. Bunte Plastikeier hängen an Zweigen, Lampen und Bildern, Osterkränze liegen auf den Tischen, gebackene Osterlämmer und -hasen und eine Riesenschüssel mit bunten Eiern ergänzen das Buffetangebot und auf dem Teller eines jeden Gastes liegt ein kleiner Schokoladenhase. Alle Tische sind geschmückt mit Tulpen und Osterglocken und ich habe fast das Gefühl, als stände ich auf einer Frühlingswiese. Dieser Ostersonntag fängt gut an.

   Ich finde, das ist jetzt auch mal der richtige Moment, alle lieben Menschen zu grüßen, die meinen Blog verfolgen. Zunächst mal euch allen ein frohes Osterfest, schöne arbeitsfreie Tage oder sogar erholsame Osterferien. Danke dafür, dass ihr alle meinen Blog verfolgt und mir in Kommentaren oder Gästebucheinträgen soviel moralische Unterstützung zukommen lasst. Das tut gut!

   Das Wetter sieht noch nicht nach Ostersonntag aus, als ich das Haus für meine letzte Schwarzwaldetappe verlasse. Wiedermal herrscht verbreiteter Nebel, sodass ich kaum die gegenüberliegende Hangseite erkennen kann. Der Weg beginnt mit der Variante “Von Null auf Hundert“. Vom Haldenhof im Tal geht es direkt hoch auf den Höhenweg. Um Straßenserpentinen abzukürzen, verbinden steile Pfade die einzelnen Kehren und bringen mich so richtig ins Hecheln. Was ich nicht weiß, es wird der letzte Aufstieg für heute sein. WAS ich weiß ist, dass ich mir heute wieder meinen eigenen Westweg mache. Der anstrengende Aufstieg auf den letzten 1.000er dieser Schwarzwaldetappe, den Blauen, muss nun wirklich nicht mehr sein, zumal die Sicht von dort oben, ähnlich wie gestern vom Belchen, gleich Null sein wird. Das Gasthaus am Blauenturm ist auch seit geraumer Zeit geschlossen, also, was soll ich da oben?

   Nach dem schweißtreibenden ersten Aufstieg, widme ich mich einem breiten Forstweg, der, immer auf gleicher Höhenlinie verlaufend, mich gut voranbringt. Wenn Schnee liegt, ist hier eine Langlaufloipe gespurt, aber in diesem schneearmen Winter wird hier wohl kein Langlauf-Enthusiast seine Bahnen gezogen haben.

   Und auf diesem mühelosen Wegabschnitt, kommt es für mich zu einem besonderen Moment: Ich höre einen Kuckuck, den ersten Kuckuck seit Beginn meiner Reise. Wie anders war das doch auf Annis und meinem Jakobsweg. Damals hörten wir von zu Hause an bis tief nach Spanien hinein jeden Tag einen Kuckuck, in der Regel morgens zwischen 10 und 11 Uhr. Fast hatte ich schon den Verdacht, dass der Schwarzwald eine “kuckuckfreie Zone“ ist. Jetzt weiß ich es besser.

   Von der Passhöhe Müllheimer Egerten steige ich also nicht hinauf auf den Blauen, sondern, ganz im Gegenteil, hinab ins Tal von Marzell. Das Argument mit der schlechten Fernsicht gilt mittlerweile nicht mehr, denn der Nebel riss in der letzten Stunde mehr und mehr auf und machte einem blauen Himmel Platz. Trotzdem zieht mich nichts mehr da oben hoch. Es werden noch genug 1.000er in den nächsten Tagen kommen, da kann ich auf diesen gerne mal verzichten.

   Je tiefer ich ins Tal hinabsteige, desto mehr spielt die Sonne ihre Kraft aus und es wird ein Ostersonntagmorgen wie er im Buche steht. Der kleine Ort Marzell liegt noch in tiefem Frieden. Es liegt diese typisch dörfliche Gelassenheit in der Luft, vielleicht wie an jedem Samstag oder Sonntag. Menschen bewegen sich ohne Hektik, alles geht seinen gewohnten Gang, der vorgegeben ist, nicht angezweifelt wird und so ganz natürlich scheint. Heute gibt es nur einen Unterschied. Alle Häuser und Vorgärten, an denen ich vorbeikomme, sind herausgeputzt mit Osterschmuck, wie ich das von zu Hause überhaupt nicht kenne. Hier findet seine Fortsetzung, was heute Morgen im Frühstücksraum vom Haldenhof begann.

   Inzwischen hat sich auch der Wald geändert. Der Weg am Talhang entlang führt nicht mehr durch dunklen Tannenwald, sondern durch einen lichten Buchenwald, dessen Bäume nahezu leuchten in ihrem gerade ausgeschlagenen frischen Grün. Als hinter Vogelbach sich der Weg nach Westen wendet, sehe ich auf einer kleinen Kuppe den Turm der Ruine Sausenburg. Da machst du nochmal Rast, denke ich mir, denn fast vier Stunden bin ich jetzt schon auf den Beinen.

   Über 40 Treppenstufen führen zur Ruine hoch, da der Weg aber unten weiterverläuft, lasse ich meinen Wheelie am Fuße der Treppen stehen und steige alleine nach oben. Übrigens, mein Wheelie: Leise wie ein Kätzchen schleicht er jetzt auch über Forstwege und sogar Pfade und nicht mehr nur über Asphalt. Herr Behringer aus Wieden hat gestern früh ganze Arbeit geleistet.

   Schon ab der zehnten Treppenstufe steigt mir verführerischer Duft in die Nase. Oben läuft gerade ein Großfamilienpicknick. Drei Generationen haben sich um eine kleine Grillstelle geschart und halten ihre Stockspieße mit Würstchen, ummantelt mit einer dicken Scheibe Speck, über die Flamme. Auf einem schweren Holztisch stehen die Ketchup- und Senfflaschen, eine Schüssel mit Brötchen sowie je eine Flasche Rotwein und Sekt mit den entsprechenden Gläsern für die Großen und irgendetwas in einer undefinierbaren Farbe für die Kleinen. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, beiße auf meiner etwas abseits gelegenen Bank aber tapfer in mein etwas trockenes Käsebrötchen.

   Während ich so dasitze und dem munteren Treiben an der Grillstelle zusehe, fällt mir plötzlich mein Paket ein, das mich hoffentlich in meiner Unterkunft in Kandern erwartet. Ich hoffe dringendst, dass es frühzeitig genug von zu Hause losgeschickt wurde, um mich heute zu erreichen. Ersatzwanderschuhe sind drin, diejenigen, die mich im letzten Jahr von den Pyrenäen bis über Santiago de Compostela hinaus getragen haben. Jetzt werden sie, so hoffe ich, auch noch Rom erreichen. Weitere Wanderführer sind dabei und weitere Socken, falls die jetzigen nicht mehr lange durchhalten.

   Und was ist, bitteschön, wenn es noch nicht da ist? Dann werde ich wohl auf es warten müssen, mindestens bis Dienstag, muss Unterkünfte umbuchen... Das will ich jetzt wissen, beende meine Rast und mache mich wieder auf den Weg.

   So, und jetzt mal wieder was für die Allgemeinbildung: Zwanzig Minuten nach der Sausenburg komme ich beim Mohrensattel an eine geographisch bedeutende Stelle. Hier durchquert die sog. Haupt-Randverwerfung das Gelände. ?????? Hinter mir steigt das Grundgebirge empor, der Schwarzwald, konkret das Massiv des Blauen. Vor mir in Blickrichtung Rhein fällt das Markgräfler Hügelland in Staffeln zum Oberrheingraben ab. Als im frühen Tertiär (vor ca. 41 Mio Jahren) nach und nach der Oberrheingraben in Staffeln um 3.000 m (!!!) einbrach, hoben sich gleichzeitig die Flanken (Schwarzwald und Vogesen) um rund 2.500 m (!!!) an. Der heutige Höhenunterschied zwischen Grabengrund und Berggipfel (z.B. Blauen, Belchen, Feldberg) von nur ca. 1.000 m erklärt sich durch die Erosion und Abtragungen der Höhen und gleichzeitige Auffüllung des Grabens mit dem Abtragungsschutt. Vor allem in den Eiszeiten waren diese Kräfte wirksam. Hier im Mohrensattel verläuft also die Haupt-Verwerfungslinie, an der entlang sich, annähernd in Nord-Süd-Richtung, das Geschehen von Heben der Flanken und Absinken des Grabens abspielte. - Wer hat das gewusst? Aufzeigen!

   Dieses wellenförmige Absinken des Geländes überblicke ich, als ich etwas weiter bei einem kleinen Aussichtspavillon aus dem Buchenwald herauskomme. Stufe um Stufe fällt das Gelände nach Kandern ab und auch noch jenseits dieser kleinen Stadt geht es bis an den Rhein so weiter. Inzwischen ist es richtig warm geworden, gut über 20°C werden es wohl sein. Die meisten Obstbäume stehen hier noch in voller Blüte, der Löwenzahn hat gerade zur “Pusteblume“ gewechselt und in dem hier schon recht hohen Gras zirpen die Grillen um die Wette. Welch ein Unterschied: Gestern noch in Nebel, Schnee und Eis auf dem Belchen und heute dieses fast südländische Ambiente bei Kandern.

   Mein Paket steht bereits auf meinem Zimmer. Welch eine Erleichterung! Als es leergeräumt ist, kommt noch mehr wieder rein. Ich trenne mich von Sachen, die ich bisher nicht gebraucht habe und wohl auch nicht mehr brauchen werde. Ich trenne mich von Wanderführern und -karten, die ich “abgelaufen“ habe und nicht mehr unnütz mit mir rumschleppen muss. Und vor allem trenne ich mich - mit Wehmut - von meinen Wanderschuhen, die mich im letzten Jahr bereits von zu Hause bis an die Pyrenäen und jetzt bis an die deutsch-schweizerische Grenze gebracht haben. Die großen Ziele haben sie damit nicht erreicht, aber sie werden zu Hause einen Ehrenplatz bekommen.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmTm9uNFhjLVpqUzg/

 

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Sebastian (Montag, 21 April 2014 00:47)

    Nochmal Frohe Ostern und viel Erfolg beim Grenzübertritt!!

  • #2

    Josef Lukas (Montag, 21 April 2014 10:23)

    Wünsche Dir ein frohes Osterfest und weiterhin tolle Erlebnisse auf Deinem Weg in die Ewige Stadt.

  • #3

    Der Kronprinz (Mittwoch, 23 April 2014 13:42)

    Manchmal frage ich mich, ob du diesen ganzen Kram wirklich weißt oder ob du immer kiloweise Bücher mit dir rum schleppst. Ach ne... Du hast ja mittlerweile das Internet entdeckt...

  • #4

    Die Pilgertochter (Donnerstag, 24 April 2014 07:45)

    Nein, Dani, ich verrate dir jetzt mal, wie das läuft: In Wanderführern stehen oft solche schlauen Sätze drin und die schreibt er ab, oder er erreicht eine Sehenswürdigkeit o.ä., an der eine Tafel mit solchen schlauen Infos aufgestellt ist, die er dann abfotografiert und später für den Blog abschreibt. Du glaubst doch nicht wirklich, dass unser alter Herr das alles WEIß?! SO weise ist er nun auch wieder nicht... ;-)


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