Klosterleben

Basel - Aesch - Kloster Beinwil (22 km)

   Ich werde vom Straßenlärm geweckt. Direkt unter meinem Zimmerfenster rollt der beginnende Berufsverkehr incl. einer Straßenbahn, die in der deutschsprachigen Schweiz “Tram“ heißt. Hat mein Smartphone-Wecker etwa versagt? Nein, es ist erst 6.25 Uhr. Komischerweise fühle ich mich trotz des gestrigen etwas anstrengenden Tages gut ausgeschlafen. Also aufstehen! Gute Zeit eigentlich, denn heute läuft es wieder ein wenig anders.

   Frühstück gibt es im Baselbackpacker erst ab 8 Uhr, dazu noch zu einem Mittagessenspreis. Beide Tatsachen sprechen dafür, dass ich hier das Frühstücksangebot nicht wahrnehme und im Zimmer auf eigene Vorräte zurückgreife. Dazu gehört, wie zu besten Jakobswegzeiten, ein Instantkaffee, angemacht mit lauwarmem Wasser aus der Leitung.

   Die gestrige Großstadttippelei im zweiten Teil des Tages hat mich bereits gestern Abend zu der Entscheidung gebracht, das erste Drittel des heutigen Tages nicht im gleichen Sinne fortzusetzen. Konkret heißt das: Bis zum Ende der großstädtischen Besiedlung bei Aesch nehme ich die Tram. Im Mittelalter haben sich die Pilger auch mal mit dem Eselskarren mitnehmen lassen und trotzdem wurden ihnen am Ziel ihrer Pilgerreise, sei es nun Santiago de Compostela oder Rom, ihre Sünden erlassen. Außerdem scheint sich hier in der Schweiz bzw. zumindest in Basel fortzusetzen, was im gesamten Schwarzwald galt: Als Übernachtungsgast ist die Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr gratis. Also entstehen mir noch nichtmal zusätzliche Kosten.

   Nach zehn Kilometern und einer halben Stunde Tramfahrt bin ich in Aesch, meinem Startpunkt in die Berge des Schweizer Jura. Ab heute muss ich mich an die für mich neue Wegmarkierung gewöhnen, die Zeiten des Andreaskreuzes für den E1 bzw. der roten Raute für den Westweg sind vorbei. Ich treffe eigentlich nur auf gelbe Schilder und gelbe Rauten, die einen Wanderweg ausweisen. Wo ich genau hinwill, muss ich schon selbst wissen. Aber dafür hat man sich ja zu Hause vorbereitet.

   Von der Haltestelle der Tram weist die gelbe Raute direkt runter ins Tal der Birs und von dort aus immer weiter auf einem Radweg zwischen Fluss und Bahnlinie Richtung Grellingen. Dass es sich bei dem Schweizer Jura um ein karstreiches Kreidegebirge handelt, bekomme ich schnell vorgeführt. Die Hänge links und rechts von mir ragen mit ihren ausgewaschenen Gesteinsschichten und Höhlenausformungen zum Teil senkrecht in die Höhe. Doch auf dem Radweg bin ich zügig unterwegs.

   Das ändert sich, als ich zwei Kilometer nach Grellingen in die Kaltenbrunnenschlucht einbiege. Grundsätzlich sind die folgenden Kilometer wild romantisch - aber auch anstrengend. Im Laufe der Jahrtausende hat sich der Ibach hier durch die Kreide “gesägt“ und ein besonderes Stück Natur geschaffen. Unberührt wirkt alles, der Mensch wagt sich nur auf engen Pfaden am unteren Rand der Schlucht durch dieses urwüchsige Stück Landschaft. Der Ibach fließt manchmal in aller Ruhe, dann wieder über Riesenfelsbrocken springend oder als ansehnlicher Wasserfall zur Birs hinunter. Baumstämme liegen über dem Bach, Bäume und Felsbrocken sind vermoost. Immer wieder sehe ich Höhleneingänge auf Höhe des Pfades oder einige Meter hoch in der Felswand. Erläuterungen auf Tafeln berichten von Tier- und Menschenknochenfunden aus prähistorischer Zeit, nahezu eine Fundgrube soll die Kaltbrunnenschlucht gewesen sein.

   Manchmal verläuft der Pfad bequem daher, manchmal aber auch wird es knifflig. Das Kreidegestein auf dem Pfad ist äußerst glitschig und bei abfallenden Abschnitten muss ich höllisch aufpassen. Bergauf ist es aber auch nicht viel besser. Wenn der Wheelie nach hinten drückt, ich die Hände an den Deichseln habe, rutsche ich schonmal ab und zu einen halben Meter zurück. Alles nicht so schlimm, aber unangenehm, wenn der Pfad nicht viel mehr als 40 cm breit ist und daneben geht es fünf Meter senkrecht ab in den Ibach.

   Gerade heute, wo nach einer verregneten Nacht die Sonne kräftig scheint, liegt die Luftfeuchtigkeit bald bei 98%. Zum Ibach kommen meine Schweißbäche noch hinzu, die Brille beschlägt, Schweiß läuft mir in die Augen und brennt. Kleine Holzbrücken, die den Wanderer mal auf die eine, mal auf die andere Bachseite queren lassen, sind so schmal, dass ich mit dem Wheelie so gerade darüber passe. Außerdem ist so manches Brett zerbrochen, andere sind nicht mehr unbedingt vertrauenswürdig. Das alles ist körperlich und auch nervlich zwar etwas anstrengend, aber auch äußerst kurzweilig.

   Trotzdem bin ich irgendwann froh, als die Schlucht ihr Ende findet und ich Meltingen erreiche. Genau im Ortszentrum werfe ich mich auf eine Bank, lege die Beine hoch auf meinen Wheelie und mache eine halbe Stunde Siesta. Ich weiß aber, damit bin ich noch lange nicht fertig mit den Mühen des Tages.

   Weitere 250 Höhenmeter wollen noch erstiegen werden. Angenehm ist aber, dass ich dies auf einem kleinen Sträßchen in Serpentinen hinter mich bringen kann. Noch während der Rast sage ich mir: “Das gehst du gleich gaaanz langsam an. Es ist noch früh, du kannst dir Zeit lassen.“ So mache ich es dann auch. Ich gehe in einem Tempo, das mich nicht völlig außer Atem bringt und kämpfe mich so immer höher. Fast schneller als ich dachte, bin ich tatsächlich oben.

   Und dann geht es zackig bergab. Meine Füße, die gestern zum Schluss wohl dachten, sie gehören zu einem Fakir, beschweren sich erneut. Nun schwächelt mir mal bloß nicht rum, ihr werdet noch ganz andere Beschwernisse ertragen müssen, maule ich im Stillen. Aber das beeindruckt sie nicht sonderlich.

   Meine schmerzenden Füße sind wie weggeblasen, als ich auf einmal unten im Tal Kloster Beinwil auftauchen sehe. So, genauso hatte ich es mir vorgestellt: Klosterkirche, Klostergebäude, Wirtschaftsgebäude, Klostergarten, Klostermauer. Hier steht ein Bett für mich bereit.

   Beinwil ist kein Kloster im herkömmlichen Sinn, sondern eine ökumenische Gemeinschaft, die sich den Regeln des hl. Benedikt verpflichtet fühlt. Zur Zeit gehören 12 Personen zur Gemeinschaft, sind aber nicht alle immer anwesend. Es sind Männer und Frauen, Verheiratete, Ledige, Geschiedene, mit und ohne Familie, Berufstätige. Nur die wenigsten sind alle Tage der Woche in Beinwil, manche aus Berufsgründen nur an den Wochenendtagen, manche für Wochen überhaupt nicht, dann wieder eine ganze Woche oder einen Monat lang. Gäste und gerade auch Pilger sind immer herzlich willkommen. Sie leben dann aber nicht abgetrennt in einem Gästehaus, sondern mitten unter der Gemeinschaft in der Klausur, essen, arbeiten (auf Wunsch) und beten gemeinsam. Nur die Schlafräume sind getrennt nach Geschlechtern im Bruder- und Schwesternhaus verteilt. Gäste und Gemeinschaftsangehörige nehmen gemeinsam in Stille die Mahlzeiten ein, treffen sich dreimal am Tag für eine Viertelstunde zum Gebet. Das Nachtgebet findet immer in der nur mit Kerzen erleuchteten Krypta statt. Nach dem Nachtgebet ist wieder Stille im Haus angesagt. Musik hören mit Kopfhörer, Blog schreiben, die ganze Nacht über in der Bibliothek lesen oder draußen im Garten sich die Sterne ansehen und meditieren, das geht. Einen Fernseher gibt es im Haus nicht, auch nicht den Gemeinschaftsraum, wo ab 21.30 Uhr noch ein leckeres Bierchen getrunken wird. Beides habe ich nicht vermisst, aber die Stunden in Beinwil genossen.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmQ19MN1dUdXB6RFU/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Mittwoch, 23 April 2014 07:46)

    Das wäre ja was gewesen für unsere Familie, gemeinsam speisen in Stille und nach dem Nachtgebet auch wieder Stille. Da hätten wir mal einen Familienausflug hin machen sollen. Die Gemeinde hätten wir in ihren Grundfesten erschüttert.

  • #2

    Der Kronprinz (Mittwoch, 23 April 2014 17:29)

    Sei gesegnet Bruder Reinhard...


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