Lecker Käsefondue

Gänsbrunnen - Solothurn (21 km)

   Im Matratzenlager auf dem Montpelon-Hof habe ich hervorragend geschlafen. Da ich alleine mit den 16 Matratzen war, hatte ich genug Platz, um mich auszubreiten. Als ich aufstehe, wird unten im Stall bereits gearbeitet. Etwa 30 Kühe sind zu versorgen, dazu zwei Pferde und zwei Alpakas. Das ist die Abteilung von HERRN Lanz, unterstützt durch einen jungen Mann aus Rumänien, der für ein halbes Jahr hier arbeitet. FRAU Lanz betreibt mit einigen angestellten Frauen auf dem Hof eine Backstube, in der außer Brot noch verschiedenes Backwerk hergestellt wird. Sonntags fährt sie damit auf den Markt nach Solothurn. Brot und Gebäck sind dort aber nicht ihre einzigen Angebote: selbstgemachte Marmeladen, Eingemachtes und selbstgebrannte Liköre und Obstler gehören auch noch dazu. Neben dem Matratzenlager gibt es über der Scheune einen großen Saal für etwa 100 Personen, für Hochzeiten, Dorffeiern usw. Außerdem betreut Frau Lanz noch die Einwohnerkontrolle der Gemeinde Gänsbrunnen, also praktisch so eine Art Ein-Personen-Einwohnermeldeamt. Herr Lanz war bis zum vorigen Jahr noch Gemeindepräsident, vergleichbar mit unserem Bürgermeisteramt. Man sieht, über Mangel an Arbeit brauchen die beiden sich nicht beklagen.

   Da Frau Lanz sowieso morgens ins Dorf runter muss, nimmt sie mich mit ihrem Wagen mit und setzt mich dort raus, wo der Aufstieg auf den Weißenstein beginnt. “Gehen Sie nicht über den Wanderweg, das gäbe für Sie mit Ihrem Wagen eine unnötige Plackerei. Mit der Serpentinenstraße haben Sie schon genug zu tun.“ Recht hat die Frau! Entfernungsmäßig werden es ein paar hundert Meter mehr werden, aber von der Zeit her kommt es mindestens auf das Gleiche raus. “In eineinhalb Stunden sind Sie auch so oben.“ Sie hilft mir noch, den Wheelie aus dem Kofferraum zu hieven, reicht mir die Hand und sagt: “Der liebe Gott wird Sie beschützen.“

   Mal wieder hatte es zur richtigen Zeit geregnet, heute Nacht, und zwar ergiebig. Jetzt ist es angenehm. Obwohl die Sonne wieder scheint, ist es noch klar und frisch. Beste Voraussetzungen also für einen längeren Aufstieg. 600 Höhenmeter muss ich jetzt in den nächsten eineinhalb Stunden überwinden, wenn Frau Lanz Recht behalten soll. “12% Steigung“ steht auf dem Schild am Straßenrand und ich mache mich an die Arbeit.

   Langsam schraube ich mich hoch. Auf der Karte habe ich die Serpentinen gezählt, jetzt zähle ich sie wieder. Ich stecke mir ein Eukalyptusbonbon in den Mund und weiß, wenn ich den weggelutscht habe, bin ich zwei Serpentinen weiter. Ich setze mir Zwischenziele: Bis zu dem dicken Baum dahinten darfst du auf keinen Fall anhalten, höchstens dahinten bei dem Straßenbegrenzungspfahl. Das klappt meistens immer, oft “ziehe“ ich sogar noch weiter. Und als hätte mich Frau Lanz entsprechend programmiert - nach genau eineinhalb Stunden stehe ich oben auf der Weißensteiner Passhöhe.

   Ganz oben auf dem Gipfel des Weißensteins steht ein großes Hotel, “Kurhaus Weißenstein“. Die Kurhauszeit ist aber schon lange vorbei, jetzt öffnet es erst wieder im Mai. So erzählt es mir die Wirtin im Berggasthof Sennhaus, etwas unterhalb des Gipfels in einer Senke, bei meiner Rast. Jaaa, ich habe mir eine Tasse Kaffee gegönnt, der mir bei einem Preis von 4 Franken, umgerechnet ungefähr 3,20 €, aber bitter aufstößt. Zusätzlich zum Kaffee kommt aber noch der Tipp: “Gehen Sie ja nicht mit ihrem Wagen den Wanderweg nach Solothurn runter, sie brechen sich alle Knochen. Die Straße ist für Sie viel besser und einfacher und bestimmt auch schneller.“ Wie sich die Frauen hier in der Gegend doch einig sind.

   Aber ich habe das sowieso vor. Was bergauf gut war, kann bergrunter nicht schlecht sein. Ich trinke zügig den teuren Kaffee und nehme wieder Geschwindigkeit auf. Jetzt steht ein Schild mit “22% Gefälle“ am Straßenrand. Donnerwetter, das ist aber heftig, denke ich und ermahne mich, ja nicht zu schnell den Berg runterzustürmen und immer schön mit der Handbremse zu spielen.

   Nach der ersten Serpentine eröffnet sich ein herrlicher Ausblick. Direkt unter mir liegt Solothurn, dann kommt die nur noch leicht wellige Landschaft, die ich in den nächsten zwei Tagen durchwandern werde, und ganz weit hinten erkenne ich die gezackten und schneebedeckten Grate der Schweizer Alpen. Bis dahin, glaube ich, wird es nun nicht mehr so anstrengend werden, die Juraberge sind "besiegt“.

   Je tiefer ich komme, desto wärmer wird es. Ich habe mich mal wieder nicht mit Sonnencreme Faktor 30 eingecremt, das wird sich wahrscheinlich rächen. Mir glüht ganz schön die hohe Stirn. Weiter geht es die Serpentinen runter, es geht in die Knie. Trotzdem ist es nahezu entspannend gegenüber dem Weg bergauf. Am frühen Nachmittag habe ich den Siedlungsbereich von Solothurn erreicht. Ich durchquere noch die eindrucksvolle Verenaschlucht und stehe bald danach in der Altstadt von Solothurn, der “schönsten Barockstadt der Schweiz“.

   Es ist wirklich schön, dieses Städtchen an der Aare. Die Kathedrale, das alte Zeughaus, der alte Zeitglockenturm, die vielen alten Brunnen, die Gassen, die Promenade entlang der Aare. Und dann hat Solothurn noch etwas Besonderes zu bieten: meinen ehemaligen Schüler aus Grundschulzeiten, den ehemaligen Kinderfreund meines Sohnes Sebastian und auch mal Darsteller in meinem Theaterverein: Tobias Werner. Tobi lebt und arbeitet seit einigen Jahren in der Schweiz und hat mir für heute Nacht Obdach gewährt. Für 18 Uhr ist mit seiner Frau Mandy ein Treffen am Bahnhof verabredet. Früher geht es nicht, denn schließlich gibt es auch noch Menschen, die arbeiten müssen. Entspannt setze ich mich bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen gegenüber der Kathedrale ans Aareufer auf eine Bank und genieße die Zeit. Hinter mir spielen einige Männer Boule, an der Imbissbude ist Betrieb und am öffentlichen “Bücherschrank“ neben der großen Kastanie bedienen sich ständig Menschen, suchen sich ein Buch aus, setzen sich auf eine der anderen Bänke und beginnen zu lesen. Mütter mit Kindern bummeln entlang und Männer und Frauen, die gerade ihr Business beendet haben, flanieren im Anzug oder im Kostüm vorbei, immer noch in geschäftliche Gespräche verwickelt. Während ich die Menschen studiere, vergeht die Zeit wie im Fluge.

   Um kurz vor 6 Uhr setze ich mich in Bewegung zum naheliegenden Bahnhof. Ich stehe noch nicht lange dort, da kommt Mandy mit ihrem kleinen Sohn Hugo auf mich zu. Das Erkennungsmerkmal “Wheelie mit gelbem Regenschutz“ ist wohl nicht so schwer auszumachen. Eine Viertelstunde später sind wir im südlichen Randbereich von Solothurn in Mandys, Hugos und Tobis Wohnung. Ich bin gerade geduscht, da kommt auch Tobi vom Dienst nach Hause, unter dem Arm einen Kasten Bier.

   Der Abend wird etwas länger. Während Hugo schon schläft, sitzen wir drei Großen beim Käsefondue und schnattern über Beruf, Familie, Pilgerwege, usw. Erinnerungen an früher kommen hoch und ich erfahre die neuesten Entwicklungen von Mandys und Tobis beruflichem Werdegang und einer möglicherweise daraus resultierenden Veränderung in der Wohnsituation. Doch irgendwann muss Schluss sein! Die beiden müssen morgen ihrem Broterwerb nachgehen und bei uns allen stellt sich gegen 23 Uhr eine gewisse Müdigkeit ein. Noch bevor ich morgen früh aufstehe, werden Mandy, Tobi und der Kleine schon weg sein. Tobi sagt zum Abschied nur: “Mach dir ein vernünftiges Frühstück, auch was zum Mitnehmen und werfe den Schlüssel einfach in den Briefkasten!“

 

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Der Kronprinz (Freitag, 25 April 2014 09:17)

    Wahnsinn! Zu Fuß bis Solothurn. Ist das schon die hälfte?

  • #2

    Sebastian (Freitag, 25 April 2014 20:44)

    Echt schmuck dieses Solothurn. Und ich habe mich immer gefragt, was den Tobi in die Ferne trieb...
    Und da warst du nach dem Kasten Bier zu blau zum bloggen?

  • #3

    Lore (Freitag, 25 April 2014 20:48)

    Hallo Reinhard,
    ich liebe ja sehr Deine ausführlichen Schilderungen. Aber wenn Du dann mal was ganz Außerordentliches, ganz toll Spannendes, in der heutigen Zeit eigentlich nie Vorkommendes erlebst, erwähnst Du es nur beiläufig. Was ich meine? Nun, da erlebst Du live eine Schlacht, durchquerst sie sogar (mutig!!) und beschreibst sie nur einfach so nebenbei als eindrucksvoll und mehr erzählst Du uns nicht????? Ich versteh die Welt nicht mehr!

    Lore

  • #4

    Tobi (Freitag, 25 April 2014 21:34)

    Hallo "Wanderopa"!!!
    Der gestrige Abend war toll! Wir finden es echt beeindruckend, wie du ALLES aufsaugst, was du unterwegs erlebst und es in wunderbarer Form hier in Buchstaben hinterlegst!!!
    P.S. Wenn du demnächst immernoch kein Auto hast, und mal wieder in Rom zu tun hast... dann kannste wieder hier pennen... ;) !!!


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