Bern, du Schöne!

Burgdorf/Bättwil - Boll / Bern (22 km)

   Vor 8 Uhr gibt es kein Frühstück, Frau Mathys muss vorher erst noch im Stall helfen. Macht nichts, so eilig habe ich es heute nicht. Dann schaue ich mich eben noch etwas auf dem Hof um.

   Die Kühe sind schon nicht mehr im Stall, sondern auf der Weide. Gerade wird ausgemistet. Die Schwalben kommen im Tiefflug aus dem Stall rausgeschossen und verfehlen nur knapp meinen breiten Scheitel. Der Hund liegt grundsätzlich im Weg und es ist eigentlich ein Wunder, dass ich noch nicht über ihn gestolpert bin. Eine der neun Katzen scheint mich zu mögen, dabei bin ich doch gar nicht der Herr des Dosenöffners. Sie hat den Schwanz aufgeplustert und hält ihn steif in die Luft wie das Sehrohr eines U-Bootes. Nach ein paar Streicheleinheiten streicht sie um mich herum und maunzt, weil sie wahrscheinlich irgendetwas erzählen will, aber nicht genau weiß, wie man das als Katze so sagt. Zwei von den vier Großeseln stehen draußen im Auslauf vor ihrem Stall. Mir kommen sie mit ihren langen Ohren beide ziemlich gleich vor, sie sehen aus und fühlen sich an, als seien sie aus alten Fußabtretern zusammengenäht. Aber sie sind goldig.

   Um 8.15 Uhr sitzen Bauer und Bäuerin zusammen mit ihrem Sohn und mir am Frühstückstisch. Als ich mich laut wundere, dass sie erst jetzt frühstücken, bemerkt der Sohn, dass das hier schon immer so war. “Erst sind die Tiere dran und dann die Menschen. Außerdem hat man nach der ersten Arbeit erst den richtigen Hunger!“ Ich kann mich auch ohne Arbeit nicht über mangelnden Hunger beklagen und greife zur Freude der Bäuerin richtig zu. Als aus dem Küchenradio der Wetterbericht zu uns herüberschallt, vergeht mir allerdings der Hunger etwas. Gewitter am späten Nachmittag, morgen viel Regen, kälter soll es werden, die Schneefallgrenze sinkt auf 1.200 bis 1.300 m. In zwei Wochen etwa will ich auf dem St. Bernhard-Pass sein, da muss jetzt nicht zusätzlich zu dem, was da sowieso an Schnee liegt, noch jede Menge drauf...

   Aber Gewitter am späten Nachmittag sind auch nicht gut. Also muss ich am frühen Nachmittag mit der heutigen Etappe fertig sein. Regen ist egal, Gewitter muss nicht sein. Die dritte Tasse Kaffee fällt weg, zwei reichen aus und ich beeile mich, mein Ränzlein zu schnüren. Frau Mathys begleitet mich bis an die Stelle, wo der Wanderweg etwas hinter ihrem Hof beginnt und winkt mir hinterher.

   Innerhalb der nächsten Viertelstunde muss ich jetzt eine Entscheidung fällen: Normal verläuft für mich der Weg heute über die Höhen, mit einigen netten Auf- und Abstiegen und im ziemlichen Zickzack. Könnte also alles etwas länger dauern, zudem droht Gewitter. Die Alternative ist der Weg durch zwei langgezogene Täler, in der Nähe einer nicht allzu befahrenen Straße oder direkt auf ihr entlang. Beide Möglichkeiten enden am gleichen von mir gedachten Ziel, in Boll. Die markierte Wegstrecke lässt die nahegelegene Hauptstadt der Schweiz, Bern, rechts liegen. Finde ich nicht gut, mache ich nicht mit! Ich werde von Boll aus mit der Bahn nach Bern reinfahren und mir die Stadt ansehen. Nehme ich nun aber die längere und mühsamere Variante über die Höhen, wird es für eine entspannte Runde durch Bern zu spät. Wie also entscheide ich mich? Natürlich für die schnellere und kürzere Talvariante, klar!

   Dabei ist die Talvariante gar nicht uninteressant. Der Autoverkehr ist unerheblich, das mag mit dem heutigen Samstag zusammenhängen. Alte, ehrwürdige Bauernhäuser stehen an den Hängen des Tales, umgeben von großen Weiden, auf denen Kuh- und Schafherden grasen. Ja, inzwischen sind sie aus ihren Winterställen raus und grasen. Üppig hoch ist das Gras hier wegen der langen Trockenheit auch noch nicht, aber es geht so. Am Kloster Beinwil habe ich das erstemal Kühe draußen gesehen, jetzt ist das mittlerweile normal geworden, jedenfalls in Tallagen.  

   Wie ich in meinem Wanderführer lesen kann, wurde die Landschaft zwischen Burgdorf und Boll, das Krauchthalbachtal und das Lindental, durch die Eiszeitgletscher modelliert. Ganz deutlich sehe ich an den oberen Rändern dieser Täler den abgeschliffenen Sandstein, der nun senkrecht ins Tal abfällt. Vom Gletscher damals mitgeführte Felsbrocken haben regelrechte Riefen in den Sandstein gekratzt oder stecken sogar noch, für den Wanderer gut sichtbar, in den Sandsteinfelsen fest.

   Der Himmel wird zeitweise recht dunkel, und ich befürchte schon, dass das mit dem angekündigten Gewitter eher losgeht. Meine Schrittzahl erhöht sich, ohne dass ich mich allerdings auf der ebenen Strecke groß anstrenge. Aber es hält sich. Ganz im Gegenteil, als ich gegen 13 Uhr Boll erreiche, wird schnell eine Wolkenlücke immer größer, die sofort eine stechende Hitze verursacht. Jetzt hoffe ich auch noch, dass mir die Sonne noch während meines Bern-Bummels treu bleibt.

   Ich sitze noch keine zwei Minuten in Boll auf dem Bahnsteig, habe so gerade Zeit genug, mir eine Fahrkarte zu lösen, als die S7 einfährt. Eine Viertelstunde später steige ich am Berner Hauptbahnhof aus.

   In den Straßen der Landeshauptstadt ist der Teufel los. Es wimmelt nur so vor Menschen. Genauer müsste man sagen, in der Altstadt wimmelt es vor Menschen. Sie ist sehr überschaubar, klein könnte man fast sagen. Mit ihrer mittelalterlichen Struktur und ihren charakteristischen Laubengängen wird sie von der Aare mit einer weit nach Osten ausgreifenden Schleife umschlossen und damit förmlich zusammengehalten. Seit über 800 Jahren hat sich ihre ursprüngliche Form erhalten und 1983 wurde sie in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.

   Beherrschend im Altstadtbild, wenn auch an seinem äußersten Rand errichtet, ist das Bundeshaus, das Schweizer Parlamentsgebäude. Davor der riesige Bundesplatz, dahinter die große Bundesterrasse, von der aus man einen wunderbaren Ausblick auf die Unterstadt hat. Mit meinem Wheelie schlängel ich mich durch Straßen mit Kopfsteinpflaster, enge Gassen und Laubengänge und der große Flohmarkt, der heute, wie jeden Samstag, in den Laubengängen der Markt- , Kram- und Gerechtigkeitsgasse stattfindet, machen für mich die Sache nicht einfacher. Die Menschen sitzen in Straßencafes, feilschen an den Trödelständen, sitzen auf Treppenstufen mit gefüllten Sektgläsern zwischen sich, sonnen sich auf Ruhebänken in der Parkanlage neben dem Münster, waschen ihre Hände in einem der zahlreichen großen Brunnen, schlecken ein Eis oder schleppen große Einkaufstüten diverser Modeboutiquen durch das samstagnachmittägliche Gewimmel.

   Grundsätzlich gefällt mir das. Ich könnte mich irgendwo an den Straßenrand setzen und mir dieses Treiben ansehen. Zwei Stunden habe ich mich durch dieses Gewimmel treiben lassen, aber nun reicht es auch. Nach den vielen Tagen der relativen Einsamkeit, der Ruhe mit mir selbst und mit der Natur in den unterschiedlichsten Ausformungen, wird mir das hier jetzt ein wenig viel. Ich habe die schönste Seite von Bern, zugegeben schnell und oberflächlich, gesehen, jetzt ist es genug. Jetzt ab zur Jugendherberge.

   Glücklicherweise habe ich direkt am Anfang meiner Sightseeingtour das kleine Hinweisschild zur Jugendherberge gesehen, muss mich jetzt nicht mehr lange durchfragen. Und - oh Wunder! - die Jugendherberge liegt auch nicht am entgegengesetzten Ende der Stadt, sondern unmittelbar unterhalb des Bundeshauses. Von der Bundesterrasse schlängelt sich ein Weg hinunter in die Unterstadt und nach wenigen Minuten bin ich da.

   Es ist 16.30 Uhr, als ich einchecke. Genau die richtige Zeit, um all das noch in Ruhe erledigen zu können, was immer noch routinemäßig ansteht, vom genussvollen Duschen und nächste Quartiere telefonisch reservieren bis hin zum Bloggen. Bei der eigentlich für heute vorgesehenen Höhenvariante wäre es ganz schön eng geworden. Wieder alles richtig gemacht! - Wo war eigentlich das Gewitter?

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmdnlSTXdZd1E4ZlE/

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Montag, 28 April 2014 09:45)

    Alter Faulpelz


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