Olympisches in Lausanne

Ruhetag

   So, heute ist mein Ruhetag, welch ein komisches Gefühl! Heute Abend schlafe ich im selben Bett, unvorstellbar! Mal nicht vor dem Frühstück den Wheelie und den Rucksack fertigpacken bis auf die Crocs, die immer zum Schluss obendrauf kommen, weil ich nicht mit Wanderschuhen am Frühstückstisch erscheinen will. Mich in aller Ruhe auf den Stadtbummel durch Lausanne vorbereiten, den Stadtplan studieren, entscheiden, was ich mir näher ansehen will. Ich versuche, die nächste Unterkunft zu reservieren, habe aber mit den Telefonnummern kein Glück. Wenn ein Wanderführer mit den entsprechenden Angaben inzwischen drei Jahre alt ist, muss nicht mehr alles stimmen. Auf dem Weg zur Seepromenade komme ich an der Touristen-Information am Bahnhof vorbei. Dort wird man das schon für mich erledigen.

   Am Frühstückstisch bin ich erstmal alleine. Da heute Samstag ist und hier eigentlich nur Dauergäste wohnen, die für eine Zeit in Lausanne arbeiten oder jobben, werden diese noch schlafen. Warum habe ich eigentlich nicht länger geschlafen? Der innere Wecker hat mich eben zur gewohnten Zeit aus dem Bett geschmissen und ich bin auch nicht mehr müde. Nach und nach kommen ein paar verschlafene Geister aus ihren Zimmern und setzen sich mit an den großen Gemeinschaftstisch, aber jeder sendet die Botschaft: “Lasst mich bloß in Ruhe, ich schlafe noch!“ Bis auf Tellerklappern und Essgeräusche bleibt alles ruhig.

   Um 10 Uhr verlasse ich das Haus und bewege mich durch die große Parkanlage unterhalb des Justizpalastes auf den Bahnhof zu. Obwohl das Wetter leider immer noch zu wünschen übrig lässt, herrscht im Park schon etwas Betrieb. Eine Gruppe hippiger Jugendlicher stimmt sich mit einer Art Aerobic auf das Wochenende ein und zwei Rasenflächen weiter macht eine Gruppe von Senioren Quigong. Auf einer Bank mit weitem Blick auf den Genfer See sitzt ein altes Paar, vor sich eine Kühlbox und auf der Box eine Flasche Sekt und zwei gefüllte Gläser. Etwas weiter steht ein kleines Mädchen in einem Blumenbeet, streichelt gerade die Stiefmütterchen und wird dabei von Papa fotografiert.

   Die junge Dame am Schalter der Touristeninformation nimmt sich für mich Zeit und sucht für mich an ihrem Computer eine preiswerte Unterkunft in meinem nächsten Etappenziel Vevey. “Preiswert“ ist in diesem Zusammenhang zwar immer noch der falsche Ausdruck, aber in der Schweiz ordnet man diesen Begriff eben anders ein.

   Vom Bahnhofsvorplatz fährt die Metro runter ans Seeufer im mondänen Vorort Ouchy. Metro hört sich nach einem großen U-Bahnnetz an, aber es gibt nur diese eine Linie und sie fährt auch nicht unterirdisch. Eigentlich ist sie nichts anderes als die Drahtseilbahn in Heidelberg auf den Königsstuhl oder die in Bern von der Unter- in die Oberstadt, nur eben größer, ähnlich einer etwas verlängerten Kölner Straßenbahn. Immerhin erspart sie mir einen längeren Fußmarsch durch Vorortstraßen und spuckt mich nach zehnminütiger Fahrt, nur 100 m vom Seeufer entfernt, wieder aus.

   Hier unten am See pfeift ein kräftiger Wind, die Boote im Yachthafen schaukeln hin und her und die Fahnen an den hohen Masten zerren an den Drahtseilen. Die noch wenigen Spaziergänger gehen dick vermummt am Ufer entlang und an den Tischen der Außengastronomien sitzt noch niemand. Die vorherrschende Farbe über dem See ist Grau, Wolken hängen immer noch tief über den Bergen, aber es regnet nicht. Die Herrschaften in den Nobelhotels, u.a. dem etwas futuristisch anmutenden Beau Rivage, sitzen wohl gerade beim Frühstück, lassen sich massieren oder maniküren.

   Mein Ziel ist das Olympia-Museum im Parc Olympique. Nicht nur ich steuere dorthin, sondern auch viele andere Touristen aus aller Herren Länder. Lausanne, als Sitz des Internationalen Olympischen Kommitees, hat es sich was kosten lassen, dem olympischen Gedanken hier ein Denkmal zu setzen. Wie man aber an der aushängenden Sponsorentafel erkennen kann, hatten die Stadt und das IOC auch zahlungsfähige Unterstützer. Von den Anfängen im griechischen Olympia, der Wiederbelebung durch die Idee des französischen Barons Pierre de Coubertin, die sportlichen Höhepunkte an den einzelnen Austragungsorten von Athen bis London bzw. Sotschi, Exponate von Medaillengewinnern, Struktur und Ablauf der Eröffnungszeremonie, usw., ist alles vertreten, was einen Sportfan interessiert. Vieles, was heute olympische Geschichte ist, habe ich selbst (am Fernsehen) miterlebt: große Sportler, Sieger und Verlierer, außergewöhnliche Rekorde, dramatische Ereignisse, sportpolitische Auswirkungen. Vieles davon war bei mir schon wieder in Vergessenheit geraten und wird mir jetzt nochmal vor Augen geführt. Die 16 Franken Eintritt (2 Franken Seniorenermäßigung!) sind es mir wert.

   Drei Stunden wandel ich im Museum umher, dann ist es genug. Mit der Metro fahre ich noch über die Haltestelle Bahnhof hinaus bis hoch in die Altstadt und spaziere dort noch ein wenig rum. Doch die inzwischen fast eisigen Temperaturen und ein starker Wind lassen kein gutes Bummel-Feeling aufkommen. Ich kaufe für die nächsten Tage noch ein paar Lebensmittel ein und verkrieche mich dann wieder “nach Hause“.

   Ruhetag heißt Ruhetag, weil man an diesem Tag eigentlich ruhen soll. Das nehme ich mir jetzt mal zu Herzen und schlage die Bettdecke zurück. Schuhe putzen und einfetten, noch ein oder zwei Unterkünfte reservieren und mich auf morgen vorbereiten kann ich nach einem Nickerchen immer noch.

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Lore (Sonntag, 04 Mai 2014 13:18)

    Lieber Reinhard,
    auch wenn keiner Kommentare schreibt, lesen tun wir doch!
    Hier ist der Wind auch sehr kalt, das Thermometer zeigt 20 Grad - was ich nicht nachempfinden kann.
    Lieben Gruß
    Lore

  • #2

    Monika (Sonntag, 04 Mai 2014 20:08)

    Wir können das miese Wetter nur bestätigen. In Besenbüren bei Marcel war es ebenfalls eisig, dazu noch Regen. Aber es wird ja besser. Also: sei guten Mutes!

  • #3

    Selma (Sonntag, 04 Mai 2014 21:27)

    Hallo Reinhard, mit großem Interesse verfolge ich jeden Tag. Ich möchte im kommenden Jahr am 1. April in Villingendorf bei Rottweil lospilgern. Über Einsiedeln nach Lausanne und dann nach Rom. Deshalb bin ich richtig gespannt auf die nächsten Tage, da der große St. Bernhard überwunden werden muß. Ich wünsche Ihnen alles Gute und Gottes Segen auf dem Weg.
    Selma


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