Wasser marsch!

Aosta - Chambave (25 km)

   Das Frühstück ist für italienische Verhältnisse fast schon als üppig zu bezeichnen. Es geht nur hauptsächlich in die süße Richtung: Kuchen, Kekse, süßes Hörnchen, Marmelade, Honig, Joghurt. Körnermüsli ist aber auch dabei. Ich esse alles.

   Als ich beim Abmarsch bezahlen möchte, rundet die Chefin nach unten ab und schenkt mir damit fast fünf Euro. Ich bin baff. Ob sie das bei Pilgern grundsätzlich so macht? Ich gehe zur Straße hinunter und sie steht an der Tür und winkt mir hinterher.

   Der Himmel ist bedeckt im Aostatal, über kurz oder lang wird es wohl regnen. Auf den Straßen der Regionshauptstadt ist so gut wie nichts los, nur auf der Piazza Chanoux wird für irgendeine sportliche Veranstaltung etwas aufgebaut. Langsam fallen die ersten Tropfen, so langsam, dass es sich für meinen Schirm nicht lohnt. Als die Tropfen dann immer mehr werden und ich bei der Porta Praetoria doch den Schirm zücke, hört der leichte Regen sofort wieder auf. Aha, man muss also nur mit dem Schirm drohen...

   Gestern noch hatte ich geschrieben: “Von nun an geht's bergab“. Seit heute weiß ich, so ganz stimmt das nicht. Das Aostatal hat links und rechts Hänge und unten im Tal fließt der Fluss Dora Baltea. Würde ich am Fluss entlangwandern, ginge es wohl immer bergab. Einen Hang aber kann man rauf- und runtermarschieren und dabei ganz schön Höhenmeter “machen“, und die Via Francigena orientiert sich an dieser zweiten Variante.

   Natürlich ist dies auch die weitaus schönere. Die Blicke von den heutigen Höhenwegen, seien es die Wasserleitungswege, die Wege durch die Weinberge oder durch die kleinen Orte hier am Südhang des Tales, sind einfach großartig. Ich gehe auch in die richtige Richtung. Während hinter meinem Rücken über Aosta ein beständiger Regen runterzukommen scheint, erstrahlen die Berge Richtung Osten in der Sonne und verschaffen mir so ein herrliches Bild. Im Laufe des Tages wird der Himmel immer blauer und es ist einfach eine Lust, unterwegs zu sein.

   So schön der Blick ins Tal auch ist, so sehr fällt auf, wie stark zersiedelt es doch ist. Unmittelbar am Fluss scheint eine Ortschaft in die andere überzugehen, Industrie- und Gewerbeanlagen sind meist die Nahtstellen. An den Hängen liegen, manchmal nur wenige Kilometer voneinander getrennt, die alten, historischen Örtchen, mit ihren traditionellen Häusern aus Naturstein und Steinplattendächern. An ihren Namen merkt man, dass wir nicht weit von Frankreich bzw. der Französisch sprechenden Schweiz entfernt sind: La Cretaz, Saint-Christophe, Chabloz, Sorreley, Chetoz. Früher hat man eben nicht ganz unten am Fluss gebaut. Zu oft trat er über die Ufer und brachte Zerstörung. Neben dem Fluss “fließen“ heute die Straßen und die Autobahn und es gibt kaum einen Moment, an dem das Rauschen der Autos den Wanderer am Berghang nicht erreicht. Nur zwischen 10 und 11 Uhr höre ich etwas, was den Verkehr noch übertönt: Die Kirchenglocken laden zum Gottesdienst oder beenden ihn.

   Nicht nur in Aosta gibt es noch Überreste aus römischer Zeit. Sogar in den Ortsnamen verbergen sich noch die römischen Spuren. Castello di Quart z.B. soll sich von dem römischen “quartum lapidum“ ableiten und bedeutet, dass sich hier - von Aosta aus gerechnet - der vierte Meilenstein befand. Nus erinnert mit seinem Namen an den neunten Meilenstein, Diemoz (“decimum“) an den zehnten.

   In Nus lege ich meine Rast ein, direkt vor dem Pfarrhaus der dortigen Kirche auf einer Bank. Ich sitze noch nicht lange, da kommt der Pfarrer aus seinem Gotteshaus, sieht mich und kommt sofort auf mich zu. Nach einer kurzen Begrüßung entnehme ich seinen Worten und Gesten, dass er mich fragt, ob ich nicht hier bei ihm im Pfarrhaus essen oder sogar übernachten wolle. Das wäre jetzt natürlich eine preiswerte Möglichkeit, aber ich habe mein Pensum für heute erst zur Hälfte geschafft. Ich bedanke mich für das Angebot und versuche ihm verständlich zu machen, dass ich in Chambave ein Zimmer reserviert habe. Direkt nennt er mir die richtige Adresse, und als er meine Verblüffung sieht, erzählt er, dass es eben ganz bestimmte Adressen gäbe, an die die Pilger sich immer wenden. Und in Chambave sei das eben das B&B “I tre Pini“.

   Zwei Begebenheiten am Nachmittag beeindrucken mich nochmal. Bei der ersten geht es um eine Berieselungsanlage. Mit das erste, was ich gestern sah, als ich in Saint Oyen aus dem Bus stieg, waren die aus allen Rohren schießenden Berieselungsanlagen. Gestern und heute sind sie mir nun ständig begegnet. Sie berieseln nicht etwa Getreide-, Obst- oder Gemüsefelder, sie berieseln - Wiesen. An Wasser ist ja nun dank der Bewässerungskanäle kein Mangel und so wird fleißig gewässert. Heute habe ich sie zwar noch nicht in Aktion gesehen, aber bei dem sich immer mehr verbreitenden Sonnenschein und den ansteigenden Temperaturen, kann es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sein. Und wie es so kommt, manchmal ist man einfach im falschen Moment am falschen Ort. Gerade als ich zwischen zwei Weinhängen eine Wiese durchqueren muss, höre ich ein von mir nicht zu identifizierendes Gurgeln. Drei Sekunden später stehe ich unter einer eiskalten Dusche, der ich aber auch so schnell nicht entfliehen kann. Die Düse hält direkt auf mich drauf, denkt gar nicht daran wegzuschwenken. Nach links oder rechts kann ich nicht mal eben so ausweichen, mit dem Wheelie drehen und zurückrennen dauert zu lange, also Augen zu und drauflos- und vorbeirennen. Als ich es geschafft habe, bin ich klatschnass. In solchen Momenten schaut man sich ja immer erstmal um, ob man nicht von irgendjemandem dabei beobachtet wird oder sogar die “Versteckte Kamera“ im Spiel ist. Nachdem ich beides ausschließen kann, bekomme ich so etwas wie einen Lachkrampf und schaffe es nur mit Mühe, mich einmal komplett umzuziehen. Alles am Körper trocknen lassen, könnte die falsche Entscheidung sein, denn mittlerweile ist ein empfindlicher Wind aufgekommen, der vielleicht die Klamotten schnell trocknet, mich aber in der Zeit auch ganz schön auskühlen könnte. Ich verknote die nassen Sachen am Wheelie, dann sind sie bis zur Unterkunft vielleicht trocken.

   Bei der zweiten Begebenheit muss ich das erstemal auf meiner Reise eine unliebsame Bekanntschaft mit einem Hund machen, der nicht angeleint ist und bei einem einsam gelegenen Haus in einem Weinberg aggressiv bellend auf mich zugelaufen kommt. Immer wieder rennt er bellend und knurrend an mir vorbei und ich rechne jeden Moment damit, dass er mich angeht. Soll ich jetzt auf ihn einbrüllen, nach ihm treten, den Schirm ziehen? Mache ich ihn dadurch eventuell noch aggressiver? “Beruhigend“ auf ihn einreden, hilft das wirklich? Fast glaube ich schon, ungeschoren an ihm vorbei zu sein, da beißt er nochmal in den Regenschutz meines Wheelies. Irgendwo und irgendwie muss ich den Winkelhaken jetzt verkleben. Aber besser ein Winkelhaken im Regenschutz als in meiner Wade.

   Der aufkommende starke Wind hat schwere Regenwolken herangeweht und ich schaffe es so eben noch nach Chambave in meine Unterkunft “I tre Pini“, bevor draußen ein gewaltiger Schauer niedergeht.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmMTJJNXlPWDA5Wkk/

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Der Kronprinz (Montag, 12 Mai 2014 08:29)

    Hahaha!!! Das mit der Dusche hätte ich zu gern gesehen!!!!

  • #2

    Die Pilgertochter (Dienstag, 13 Mai 2014 08:49)

    Das mit dem Wehrschirm hat bei der letzten wild gewordenen Bestie auch geholfen!


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