Kaffeeplausch im Supermarkt

Chambave - Verrès (24 km)

   Au weia, au weia, wenn das so weitergeht mit dem italienischen Frühstück, gehe ich schweren Zeiten entgegen. Heute gibt es staubtrockenen Zwieback mit Marmelade und ein kleines Stück Kuchen, dazu einen Fingerhut Kaffee. Man kann sich ja noch nicht mal beschweren, das ist hier eben so. Und das noch mehr als sieben Wochen lang...

   Bei meiner Ankunft gestern im “I tre Pini“ hatte ich der liebenswürdigen Hausherrin von dem Hund erzählt, der den Regenschutz meines Wheelies zerfledderte. Ich sitze noch bei meinem “Frühstück“, da kommt sie mit einer Rolle breitem Klebeband, um zur Reparatur zu schreiten. Ich sage ihr zwar, dass ich das wohl auch könne, aber sie will es unbedingt selbst machen. Als ich zum Packen in mein Zimmer komme, ist der Regenschutz geflickt. So beginnt der Tag dann doch erfreulich.

   Da ich mir in Vorbereitung meiner Reise, anstatt mir etliche teure Wanderkarten anzuschaffen, die ich dann auch noch schleppen bzw. mitziehen muss, Wegeskizzen aus dem Internet ausgedruckt habe, die ehemalige Pilger dort eingestellt hatten, fühle ich mich gut vorbereitet. Der Maßstab ist nur recht groß und so manche Straße taucht gar nicht erst auf. Bei der Streckendarstellung in meinem Wanderführer ist das aber nicht anders. Beim Vergleich beider “Kartenwerke“ fällt mir auf, dass der Verlauf des heutigen Weges recht unterschiedlich ausfällt. Beschreibung und Fotos im Wanderführer lassen den Wegverlauf zwar recht aussichtsreich, aber auch relativ anstrengend und teilweise sogar riskant erscheinen. Auf den Fotos sehen die “Aussichtsbalkone“ aus Holz, die an den nahezu senkrecht abfallenden Felshängen montiert sind, nicht mehr so neu und erst recht nicht mehr vertrauenserweckend aus. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass die Autorin des Führers die Via Francigena bereits vor drei Jahren begangen und anschließend beschrieben hat, stellt sich die Frage, ob noch alles problemlos begehbar ist. Vielleicht weist die Wegeskizze aus dem Internet den Pilger nicht umsonst beständig durchs Tal und hauptsächlich an der Straße entlang. Dass ich damit keine Probleme habe, ist inzwischen bekannt, und so entscheide ich mich ganz schnell für diese ungefährlichere, kürzere und damit auch schnellere Strecke. So werden aus zunächst geplanten 28 Tageskilometern nur 24, aus acht dafür angesetzten Stunden nur sechs.

   Hinter Chambave ist Chatillon der nächste größere Ort, den ich durchquere. Bei einem Supermarkt  biege ich von der Straße ab, um etwas einzukaufen. Ich habe kaum den Wheelie drinnen in der Nähe der Kasse abgestellt, als urplötzlich der junge Kassierer von seinem Stuhl aufspringt und auf mich zugelaufen kommt. In diesem Moment interessieren ihn keine Kunden mehr, sondern nur noch mein Wheelie. Nachdem wir uns ganz schnell auf Englisch zur gemeinsamen Verständigung einigen können, bombardiert er mich nahezu mit Fragen zu meinem treuen Gepäcktransporter. Wie sich herausstellt, ist er seit einiger Zeit auf der Suche nach genau so einem Gefährt, hat im Internet danach recherchiert, sieht jetzt aber zum erstenmal solch ein Teil im Original. Er will in diesem Jahr noch mit seinem Hund auf den Jakobsweg, im nächsten Jahr nach Island. Als ich ihm jetzt noch mitteile, dass ich beides bereits hinter mir habe, flippt er ganz aus. Er beordert einen Kollegen an die Kasse (bis dahin hat sich eine Schlange an der Kasse gebildet), besorgt uns beiden eine Tasse Kaffee aus dem in einer Ecke stehenden Automaten, und dann wird eine halbe Stunde gefachsimpelt. Nachdem wir die Kapitel Wheelie, Island und Jakobsweg abgeschlossen haben, warnt er mich dringend für meinen weiteren heutigen Weg vor der “Berghangvariante“. Sie sei, vor allem mit dem Wheelie, viel zu gefährlich und ich solle bloß bei der Straße bleiben. Er beschreibt mir gestenreich einige Abzweigungen auf mögliche Nebenstraßen, schenkt mir noch aus dem Kühlschrank ein Getränk meiner Wahl und dann verabschieden wir uns voneinander. So wird aus einem schnellen Einkauf eine nette Begegnung.

   Mit meinen gefürchteten Staccatoschritten erreiche ich schnell Saint Vincent und bin etwas überrascht von dem angedeuteten Montreux-Flair, das ich hier antreffe. Saint Vincent war einmal ein berühmter Badeort, nachdem der örtliche Pfarrer hier Ende des 19. Jahrhunderts Salzquellen entdeckt hatte. Das große Grandhotel Billia, das mir am Ortsanfang direkt auffällt, wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut, zu einer Zeit, als die Thermalquellen noch beliebte Ziele der Reisenden und Reichen waren. Immer noch sehe ich regelrechte Prachtbauten entlang des Weges, andere haben aber auch ihre besten Jahre offensichtlich hinter sich.

   Bald wird das Tal so eng, dass sich die Eisenbahn, die Straße und die Autobahn am Rand der tiefen Schlucht, die sich hier der Fluss Dora Baltea gegraben hat, kaum hindurchzwängen können. Hinter der Mauer, die die Straße rechts von mir vom Abgrund trennt, geht es etwa 50 m senkrecht runter, nicht mehr als einen Meter links neben mir braust der Verkehr. Für ca. eine halbe Stunde gehe ich höchst konzentriert.

   Die Straße fällt nun hinab ins Tal von Montjovet und ich bekomme die Gelegenheit, sie zu verlassen. Den Fluss, der vor kurzer Zeit noch bedrohlich tief unter mir lag, kann ich jetzt auf einer Brücke überqueren und auf der anderen Seite weitergehen. Im kleinen Ort Viering komme ich nach dreieinhalb Stunden endlich dazu, neben der kleinen Dorfkirche meine erste Rast einzulegen. Die Ruhe hier ist wohltuend und nur die Schwalben, die neben mir aus einer Art dörflicher Tiefgarage (mit Toiletten) pausenlos laut tschilpend raus- und dann auch wieder im Tiefflug reinfliegen, sorgen für eine gewisse Geräuschkulisse. Ich verzehre die letzten Reste meines vier Tage alten Weißbrotes, das wegen des Transportes in einer Plastiktüte die Ähnlichkeit mit einem Stück Fahrradschlauch nicht leugnen kann, zusammen mit dem neu gekauften Frischkäse und trinke dazu das herrlich frische Wasser aus dem Dorfbrunnen. Ich beobachte die Schwalben und die beiden sich auf der schmalen Straße sonnenden Katzen, strecke meine Beine aus und bin zufrieden.

   Knapp zwei Stunden später bin ich in Verrès in meiner Unterkunft. Diesmal ist es eine Art Jugendherberge. Jedenfalls tobt eine Schulklasse auf dem Flur herum und ich werde mir einen Raum mit zwei anderen Personen teilen. Besonders nett, das “Ostello il Castello“ liegt direkt neben dem Bahnhof und die Züge fahren keine zehn Meter von meinem Bett entfernt. Ich denke mal, heute kommt wieder Ohropax zum Einsatz.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmV2U0VmhheW1WSnc/

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Dienstag, 13 Mai 2014 08:45)

    Ja, der gefürchtete Stechschritt ist mir auch noch ein Begriff...

  • #2

    Der Kronprinz (Dienstag, 13 Mai 2014 09:47)

    Haha, putzig wie du dich für deine Abkürzungen immer rechtfertigst. Aber gut dass du mittlerweile vernünftig bist. Wenn ich da an Norwegen und die Schneebrücken über reißende Schmelzflüsse denke...


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