Ab ins Wasser!

Valconasso - Fiorenzuola d'Arda (18 km)

   Gestern war wirklich der bisher unattraktivste Streckenabschnitt auf der Via Francigena. Das merkt man u.a. daran, dass ich nur ein einziges Foto gemacht habe, von der Unterkunft. Oder habe ich es nur so empfunden? Viele schnurgerade Straßen, viel Verkehr, drückende Luft, Kopfschmerzen und vor allem der Zeitdruck - vielleicht sind das alles zusammen die Gründe, warum der Tag ein wenig daneben war. Glücklicherweise war dann die Casa Diocesana ein Glückstreffer. Zwar war ich ein weiteres Mal allein in einem großen Haus, aber das ist das geringste, was mich stören würde. Das Zimmer war groß, mit Dusche/Wc, alles penibel sauber - Hotelstandard. Genauso das Frühstück heute, für italienische Verhältnisse. Croissants, Marmelade, Honig, Zwieback (?!), zwei Joghurtsorten, Obst, Orangensaft und sogar eine relativ große Tasse Kaffee. Während ich frühstücke, macht mir der Herr an der Rezeption sogar noch meine Unterkunft für morgen klar - ich bin zufrieden, als ich losziehe.

   Ab heute malträtiere ich mein drittes Paar Wandersocken, das zweite versenke ich vor dem Haus im Müllcontainer. Ich kann festhalten: Jedes Paar hält ungefähr 700 Kilometer bei täglicher Beanspruchung und ohne Wäsche. Ich denke, damit kann ich zufrieden sein.

   In der Nacht muss es geregnet haben. Die Straße ist noch nass und an einigen Stellen stehen Pfützen. Ich bemerke diesen typischen Nach-dem-Regen-Geruch und siehe da: meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen. Ein großes dunkles Wolkenfeld zieht gerade Richtung Osten ab und über dem Apennin im Westen wird es blau. Die Temperaturen sind jetzt viel angenehmer als gestern um diese Zeit, der Start in den Tag könnte kaum besser sein. Mich bekümmert nur, dass die Berge zum Greifen nahe wirken, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob es bei dem aufziehenden schönen Wetter heute bleibt.

   Die zwei Kilometer von der Unterkunft nach Valconasso hinein gehe ich jetzt zum viertenmal. Gestern Abend trieb mich der Hunger doch nochmal in den Ort in eine Pizzeria, die ich mittags beim Vorüberhasten schon registriert hatte. Beim Genuss der Pizza “Tip-Tap“ (mit Spargel und Gorgonzola) füllte sich die Terrasse schnell mit Gästen, die sich alle untereinander gut kannten. Entsprechend laut wurde es mit der Zeit. Jetzt, um 8.30 Uhr, ist natürlich noch alles ruhig.

   Drei Kilometer dauert es, bis ich hinter Valconasso wieder auf der Via Francigena bin. Erst ist es wieder eine ruhige Straße, auf der ich mich weiterbewege, aber dann ist mal für Abwechslung gesorgt. Schon Kerstin und Hans-Jürgen hatten in ihrem Blog für den heutigen Streckenabschnitt zu durchquerende Furten angekündigt und diese auch mit einem Video dokumentiert. Nicht nur Bäche mit ziemlich viel Wasser stellten sich ihnen  im vorigen Jahr in den Weg, sondern direkt dazu auch noch tiefe Schlammfelder, die zu durchwaten waren. Ich bin also vorgewarnt. Aber dann ist alles halb so schlimm. Der jetzt schon recht langanhaltenden Trockenperiode habe ich wohl zu verdanken, dass sich die Wassermengen der Bäche in Grenzen halten und von Schlammfeldern überhaupt nichts zu sehen ist. Bei jeder der drei in relativ kurzen Abständen auftauchenden Furten zögere ich kurz und beschließe, einfach zügig durchzugehen. Ich schätze die tiefsten Stellen auf maximal 20 cm, Einsinken im Flusskies nochmal 10 cm. Ich ziehe meine Gamaschen ziemlich weit über die Schuhe und an den Waden hoch und stürme los. Nach jeweils fünf bis acht Metern bin ich durch und habe anschließend nicht das Gefühl, dass irgendwo Wasser in meine Schuhe eingesickert ist. Anhaltender Regen dringt da wesentlich besser durchs Leder  als ein kurzes Vollbad. Innerhalb einer Viertelstunde sind die Schuhe bei der wärmenden Sonne wieder trocken.

   Außerdem muss ich jetzt mal eine Lanze für meine kleinen roten Gamaschen brechen. Gerade meine Kinder machen sich gerne darüber lustig, wenn sie mich auf Fotos oder im Original in kurzen Hosen und mit diesen Gamaschen sehen. Ich trage sie ja nicht, weil sie mir besonders gut stehen, sondern weil sie zweckmäßig sind. Ohne sie hätte ich unterwegs auf diesen Schotterwegen pausenlos Steine im Schuh, müsste anhalten, Schuhe aus, Schuhe an. Und jetzt bei den Furten wäre mir mit Sicherheit Wasser oben in die Schuhe gelaufen. Also laufe ich doch lieber mit roten Gamaschen durch Italien.

   Nicht nur die Furten machen heute den Weg kurzweilig. Der Weg schlägt nette Haken, führt mal über kleine Straßen oder Feldwege, am meisten gefallen mir aber die herrlichen Getreidefelder. Das Korn steht überall bereits auf hohem Halm, Weizen und Gerste wechseln beständig und ab und zu ist sogar schon ein Feld abgeerntet. Zwischendurch wachsen auch Kartoffeln, Erdbeeren, Tomaten und Rüben und alles wird auf unterschiedliche Art bewässert. Das Schönste aber ist der Mohn! In Gemeinschaft mit dem Getreide wächst er auf den Feldern und verleiht allem einen rötlichen Schimmer. Vor den im Hintergrund ansteigenden Bergen ist das ein herrliches Bild. Immer wieder halte ich an und staune.

   Erst kurz vor meinem Tagesziel Fiorenzuola d'Arda werden die Straßen wieder breiter und der Verkehr nimmt zu. Dicke Schauerwolken sind aufgezogen, werden mir aber nichts mehr tun können. Kaum habe ich das Ortseingangsschild hinter mehr, stehe ich auch schon vor der dreischiffigen Kirche Collegiata di San Fiorenzo. Direkt daneben ist die Parrocchia, das dazugehörige Pfarramt. Ich klingel am großen Portal und keine Minute später öffnet mir ein kleiner, gebeugter Mann die Tür. Er tritt sofort freundlich auf mich zu, gibt mir die Hand und erkundigt sich, ob ich der angemeldete “Signore Wagner“ sei. Als ich bestätige, führt er mich in sein Büro und bittet mich um Ausweis und Pilgerpass. Das scheint bei den kirchlichen Herbergen das übliche Verfahren zu sein. Man ist gastfreundlich, aber alles muss seine Ordnung haben. Beide Dokumente landen auf dem Kopiergerät und die Kopie wird abgeheftet. Wozu diese Kopien dann noch gebraucht werden, weiß ich nicht. Mit Stolz und Hingabe drückt er mir den besonders schönen Stempel seiner Kirchengemeinde in meinen Pass. Der dort abgebildete Mann auf dem Pferd sei der Heilige Fiorenzio von Tours. Dieser ist im 5. Jahrhundert nach Rom gepilgert und hat auf dem Rückweg hier Wunder vollbracht. Ihm ist die Kirche geweiht und letztlich nach ihm auch der Ort benannt. Als alles erledigt ist, begleitet mich der freundliche Herr noch hinüber in ein kleines Nachbarhaus, wo die Herberge untergebracht ist, und bringt mich in eins der Zimmer.

   Noch habe ich das Zimmer (mit drei Betten) für mich allein. Doch dann ist es soweit. Ich habe gerade meine Dusche hinter mir, da kommt ER, mein erster Fußpilger, durch die Tür! Robert aus Frankreich. Aus seiner Heimatstadt in der Nähe von Bordeaux ist er Anfang April losmarschiert und will, genau wie ich, nach Rom. Heute ist er morgens um 6 Uhr in Piacenza gestartet und durchweg bis hierher die schnurgerade verkehrsreiche SS9, die alte römische Handelsstraße Via Aemilia, entlanggestürmt. Er kriecht auf dem Zahnfleisch, ist hundekaputt, duscht mit letzter Kraft und fällt ins Bett. Morgen früh will er wieder um 6 Uhr los und 10 Kilometer weiter als ich.

   Ich gehe nochmal eine Runde durchs Städtchen. Vorhin habe ich eine schöne Gelateria mit prächtigem Eis in der Auslage gesehen...

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmYm15SU53dHRFcFU/

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Mittwoch, 28 Mai 2014 06:48)

    Also erstmal: 700 km mit einem Paar Socken und ohne Wäsche? Hmmmmm! Das Abgleiten in die Verwahrlosung schreitet voran!

    Und zu deinen heißen Gamaschen: Von den Vorteilen brauchst du mir nichts zu erzählen. Darüber durfte ich mir sowohl in den Alpen wie auch auf dem Jakobsweg schon deine Vorträge drüber anhören. Aber du siehst einfach zu lustig aus mit deinen Plastikstrapsen und Cowboyhut!

  • #2

    Der Kronprinz (Mittwoch, 28 Mai 2014 10:01)

    Na da hast du ja ein deutlich angenehmeres Tempo drauf und kannst genießen. Richtig so! Aber wo genau lagerst du eigentlich nachts die besagten Wander Strümpfe? Ich hoffe doch für deine zimmergenossen sehr vor der Tür?!


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