Kampfhase?

Pontremoli - Aulla (26 km)

   Dieser Wandertag heute hat es nun wirklich schwer, gegen den von gestern anzukommen. Schon beim Start am Kapuzinerkloster weiß ich, dass mit großen Höhepunkten nicht zu rechnen ist. Ich erkläre ihn zu einem Überbrückungstag. Eigentlich drücke ich mich aber nur vor Größerem. Vor größeren Auf- und Abstiegen, vor größeren Quälereien und vor größeren Entfernungen. Was heißt das genauer?

   Der markierte Hauptweg von Pontremoli nach Aulla ist 34 km lang. Der Wanderführer selbst drückt sich so aus: "Der Weg nimmt lange Umwege in Kauf, um der Straße auszuweichen. Wer Zeit und Lust hat, kann sich die schönen Orte entlang dieser Route anschauen. Pilger mit dem Ziel Rom werden sich evtl. die Frage stellen, ob sie nicht auf die fünf Kilometer kürzere Radfahrer-Variante zurückgreifen wollen." Und ob ich will! Eine Stock-und-Stein-Strecke habe ich morgen unausweichlich vor mir, da muss ich mich nicht heute schon auspowern.

   Zugegeben ist die Rad-Variante jetzt nicht der Brüller. Landschaftlich wäre bestimmt der Hauptweg schöner gewesen, aber man muss halt abwägen. Wenn man nur 14 Tage unterwegs ist, sollte man sich solch einen Streckenabschnitt vielleicht nicht entgehen lassen. Wenn man so etwas aber so oder so ähnlich schon das ein oder andere Mal gesehen und noch vier Wochen Wanderung vor sich hat, darf man mal Mut zur Lücke haben. 

   Auf der Rad-Variante fahren nun nicht nur Radfahrer, sondern auch sehr wohl Autos, und zunächst mal in gar nicht so viel geringerem Ausmaß als auf der "vielbefahrenen Staatsstraße". Das wird ein wenig besser, als die Gewerbegebiete und die Zuführung zur Autobahn hinter mir liegen. Da sich aber auch noch entlang der gesamten "Nebenstraße" Besiedlungen erstrecken, bleibt es immer noch recht lebhaft. Erst als kurz vor Villafranca eine wirklich kleine Straße von der sog. Nebenstraße abzweigt und diese immer noch als Rad-Variante markiert ist, wird es tatsächlich ruhiger. Keinem einzigen Auto begegne ich von nun an, aber einem Radpilger erst recht nicht. Ein efeuverhangener Wald begleitet mich und gegen das hier stattfindende Vogelkonzert hat selbst die Geräuschkulisse der Fahrzeuge auf der nahe vorbeiziehenden Autobahn keine Chance. Außer dem Grau der kleinen Straße umgibt mich nur Grün, selbst vom Blau des Himmels ist nur ganz selten etwas zu sehen. Aber der Schatten ist angenehm. Hier unten im Magra-Tal herrschen wieder andere Temperaturen als auf dem Cisa-Pass, immerhin bin ich von diesem inzwischen wieder über 900 m hinabgestiegen.

   Mittlerweile würde ich ganz gerne mal eine Rast einlegen, aber es findet sich am Straßenrand keine geeignete Stelle. Vor allem von dem Moment an nicht, als ich in kurzen Abständen hintereinander zwei überfahrene Schlangen auf der Straße liegen sehe. Ca. einen Meter sind die Kadaver lang und einem lebenden Exemplar in dieser Größe möchte ich bei einer Rast nicht unbedingt auf Augenhöhe begegnen. Dies ist mir mal bei einer Rast auf dem Coast-to-Coast-Walk in England passiert, als mir bei einem Pausennickerchen in einer Wiese einmal eine Schlange zunächst unbemerkt über den Bauch gleitet. Als ich mit dem Gefühl aufwache, jemand würde mir sanft über meine Körpermitte streicheln, und die Augen öffne, dauert es nur Bruchteile von Sekunden, bis ich von der Horizontalen hoch bin und mich zitternd auf dem Weg wiederfinde. Dann doch lieber Gänse, Esel oder Kühe, damit kann ich umgehen.

   Und es dauert auch gar nicht lange, bis ich diesbezüglich wiedermal auf eine kleine Probe gestellt werde. Nachdem ich aus dem dichten Wald raus bin und wieder an freien Feldern vorbeikomme, kommt ein Hase aus dem Weizen und hoppelt mindestens 200 m vor mir auf der Straße her. Ab und zu bleibt er stehen, schaut in meine Richtung und hoppelt dann weiter. Da es mir schon oft passiert ist, dass Getier jedweder Art nicht zu einem Foto zu überreden war und immer genau in dem Moment die Flucht ergriff, wenn ich gerade nach dem Zoomen das Motiv scharf eingestellt hatte, versuche ich es erst gar nicht. Doch dieser Mümmelmann legt es förmlich drauf an. Als ich meine Kamera schussbereit habe, dreht er sich sogar um und blickt auffordernd in die Kamera, als wollte er sagen: "Hast du mich überhaupt gefragt? Das kostet mindestens 'ne Möhre!" Dann passiert etwas Unerwartetes: Nach dem zweiten Bild kommt er auf einmal auf mich zugerannt, während ich noch durch den Sucher gucke. Er wird größer und größer. Ich weiß nicht, was ihn dazu treibt, vielleicht will er wirklich kassieren kommen. Oder ist er doch ein Kampfhase? Erst wenige Meter vor mir, ich lasse gerade mehr verblüfft als erschreckt die Kamera sinken, schlägt er einen Haken und verschwindet wieder im Weizen. Damit habe ich auch noch einen Hasen mit auf der Liste.

   Ich habe gerade den Magra überquert und komme in den Ort Terrarossa hinein, als mich der Wirt einer Bar auf der Straße abfängt. Er sei doch hier der Wirt der neuen "Nuovo Bar Pellegrino", ob ich denn nicht Lust hätte, bei ihm für eine kleine Erfrischung einzukehren. Ich will schon fast ablehnen und weitermarschieren, da fällt mein Blick auf eine gigantische Eisauswahl. Na, wenn das sooo ist! Gegen einen Eistee aus dem Kühlschrank und ein ordentliches Eis ist ja nun wirklich nichts einzuwenden. Eine kleine Pizza als Grundlage passt auch noch. Mit Pizza und Eistee fange ich an - und anschließend beweist der Wirt hellseherische Fahigkeiten: Strahlend kommt er mit einer Drei-Sterne-Portion Eis zu mir nach draußen an den Tisch und macht mir verständlich, dass sie auf Kosten des Hauses gehe. Ich bin begeistert und versichere ihm, ihn für immer in mein Herz zu schließen. Er nimmt mir das sofort ab und kassiert nur für Pizza und Eistee.

   Nach ein wenig Sucherei finde ich auch die Abbazia San Caprasio und damit meine Herberge, die direkt daneben liegt. Nicht in der Herberge, aber wohl in dem ehemaligen Kloster hat Bischof Sigeric übernachtet und in sein Tagebuch geschrieben, dass er den 30. Tag seit Rom unterwegs ist. Wenn ich bei mir nachrechne, komme ich auf 28 Tage, die noch wandernd vor mir liegen. Bei dem Gedanken beschleicht mich ein etwas komisches Gefühl. Keinen Monat mehr und ich bin in Rom!

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmUDBNaU5DQ29nY0U/

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Kathrin (Dienstag, 03 Juni 2014 23:14)

    Hallo Reinhardt, hm da fällt mir Monty Pythons schrecklicher Kampfhase ein! Haste noch mal Glück gehabt.
    Achja, keine Sorgen mehr machen, wenn Du im Internetfunkloch bist - okay.
    Liebe Grüße aus der Eifel.

  • #2

    Der Kronprinz (Mittwoch, 04 Juni 2014 09:27)

    Na toll, und wo ist jetzt der Knötterkopp?!

  • #3

    Renate (Mittwoch, 04 Juni 2014 10:08)

    Hallo Reinhard,
    bin ich froh - nur technische Probleme. Gleich mehrere Tage nichts von dir zu lesen - da macht der Blogleser sich halt Sorgen! Umso schöner die Berichte der letzten Tage - wo ist er denn, dein Knötterkopp. Doch ein anderes Marschtempo??

    Liebe Grüße
    Renate

  • #4

    Die Pilgertochter (Sonntag, 15 Juni 2014 21:35)

    Nein, was wäre das Karnickel für die Sira ein Fest gewesen!


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