"Urlaub" und Herbergen-Spirit

Marina di Massa - Pietrasanta (20 km)

Pietrasanta - Valpromaro (22 km)

   Entschuldigung, aber gestern war der erste Tag, an dem ich nicht die Kurve bekommen habe zu schreiben. Wenn endlich andere Pilger auftauchen, man sich gut mit ihnen versteht und sich unterhalten kann, dann muss der tägliche Bericht vielleicht mal zurückstehen. Gestern war mal so ein Tag und vielleicht kommt das jetzt sogar öfter vor.

   Für 7.30 Uhr hatte ich mich gestern telefonisch mit Maria im Turimar zum Frühstück verabredet. Sie war schon fünf Kilometer vorher in einem Ostello untergekommen und wollte dort, wo der Weg nicht offiziell verläuft und nicht markiert ist, nicht alleine hergehen. Ich war gerade dabei, in dem großen Komplex des OstelloTurimar nach dem Frühstücksraum zu suchen, als ich Maria auftauchen sah. Gemeinsam fanden wir den Raum und bedienten uns am bereitgestellten "Buffet". Ausreichend gesättigt machten wir uns dann an unseren "Strandspaziergang" - so hatten wir es uns erhofft. Herausgekommen ist dabei aber leider nur ein langgezogener Gang an der breiten Küstenstraße entlang. Aber wir haben das Beste daraus gemacht. Bei einer ersten einladenden Bar legten wir die erste Pause ein. Die lecker dargebotenen Pastas in der Auslage ließen mich schon vormittags zur Gabel greifen und Maria lud mich zu allem Überfluss "zu einem kleinen Glas Weißwein" ein. Aus dem kleinen Glas wurde ein großes und danach ging es beschwingt weiter. Wir waren uns einig: Heute ist mal kein Pilgeralltag, heute ist "Urlaub am Mittelmeer". Ein Strandbad nach dem anderen, mächtige Palmen, Marmormonumente und Blumen, Blumen, Blumen zogen an uns vorbei - aber jetzt wollten wir doch mal ans Wasser. Gesagt, getan. Zwischen den einzelnen Privatstrandbädern führen immer mal wieder Zugänge ans Wasser und einen davon nahmen wir. Da war es, das wohl typische Italien-Strand-Feeling: Liegestühle und Sonnenschirme, aufgereiht wie die Soldaten des Wachbattalions bei einem Staatsbesuch, darauf sich räkelnde Menschen, die sich ab und zu mit einem Drink an der Strandbar versorgten, Brillen-, Handtaschen-, Uhren- und Schmuckverkäufer, die nicht müde wurden, ihre Ware anzubieten, ballspielende Kinder und im Wasser tobende Jugendliche. Wir machten es uns auf dicken Marmorbrocken gemütlich, schauten dem Treiben am Strand und den heranrollenden Wellen zu. Es war schön und wunderbar erholsam, hier zu sitzen, und trotzdem wusste ich mal wieder genau, dass dies kein Urlaub für mich wäre. Doch jedem das Seine!

   Nach über einer Dreiviertelstunde ging es dann auf der Straße weiter. Strandbäder, Bars, Palmen, Marmormonumente, Blumen, Blumen, Blumen - bis Pietrasanta Mare. Unsere Unterkunft ist im Hauptort Pietrasanta, fünf Kilometer im Landesinneren. Maria und ich hatten noch nicht genug "Urlaub", wir bogen in eine Strandbar ab. Jetzt stand Maria der Sinn danach, etwas zu essen, ich wollte meinen obligatorischen Nachmittagskaffee. Im angenehmen Schatten von riesigen Sonnenschirmen wurden wir von freundlichen jungen Damen versorgt und  bestätigten uns gegenseitig, dass es uns ausgesprochen gut ging. Jetzt nochmal ans Wasser! Wir ließen unser Gepäck unter dem Sonnenschirm zurück und stapften durch den Sand den Wellen entgegen. D.h., Maria "stapfte" mit ihren Trekkingsandalen, ich hüpfte eher, denn der heiße Sand war für einen Barfüßigen wie eine Bratpfanne ohne Fett. In Wässernähe war es dann nicht mehr so schlimm und wir lümmelten uns im Sand nach Herzenslust. Nach einer weiteren Stunde war dann der "Urlaub" vorbei und wir wurden wieder zu Pilgern.

   Eine Stunde später waren wir in Pietrasanta. Unsere Unterkunft war ein kleines Häuschen neben der Casa Diocesana La Rocca. Sechs Betten gab es, alle wurden im Verlauf des späten Nachmittags belegt. Jetzt hatte ich wieder Hunger. Maria und ich zogen nochmal los in die Altstadt. Pasta, Rotwein, nette Gespräche - es wurde einfach zu spät zum Schreiben.

 

   Heute Morgen bin ich wieder der letzte, der aufsteht. Nicht weil ich eine Schlafeule bin, sondern einfach weil ich glaube, dass ich mein Tagesprogramm auch so noch in den Griff bekomme. Maria war wohl die erste, die die kleine Herberge in aller Frühe verlassen hat. Irgendwann unterwegs werden wir uns schon wieder treffen.

   Ab heute gibt es für mich kein Zwischenziel mehr. Jetzt kommt nur noch das große Ziel: Rom. Ich weiß, in einem Monat bin ich wieder zu Hause. Die nächsten Wochen, meine letzten Wochen auf der Via Francigena, werden nochmal Höhepunkte bringen, und ich freu mich darauf. Schon heute wird es "toskanischer", die Pinien und Zypressen werden mehr, nach den flachen "Urlaubskilometern" an der Mittelmeerküste entlang wird es wieder hügeliger. Schattige Waldabschnitte wechseln sich ab mit Phasen brütender Sonne, kleine Teerstraßen mit engen Schotterpfaden. Jetzt schon ist es reichlich heiß, in den nächsten Tagen sollen es über 35ºC werden. Ich sollte allmählich wirklich dazu übergehen, ganz früh morgens loszulaufen, um zu Beginn der größten Mittagshitze angekommen zu sein.

   In Camaiore, wieder einer dieser alten Orte an der Via Francigena, in der Pilger jahrhundertelang übernachtet haben, lege ich auf dem Platz vor der großen Kirche eine Rast ein und knabbere an meinen Schokoladenkeksen. Ein Radpilger kommt auf mich zu, fragt mich, ob ich ein Foto von ihm mit meinem Wheelie machen könne. Er möchte doch unbedingt auch so einen Wagen haben und brauche Anschauungsmaterial, um seine Frau zur Anschaffung überreden zu können. Wenn es dann mit dem Foto alleine klappt, bitte schön!

   Vom Kirchplatz aus schlängel ich mich wieder zwischen Marktständen hindurch aus der Altstadt hinaus, verlasse durch eine schattige Lindenallee die Stadt und muss bald darauf wieder schwitzen. Aufwärts geht es eine Serpentinenstraße hoch auf den Pass von Montemagno. Es ist Samstag, Radfahrer bevölkern wieder Straßen wie diese, quälen sich hinauf oder rasen sie hinunter. Und genau oben, am Anfang von Montemagno, gibt es eine Wasserstelle. Radfahrer stehen Schlange, um ihren Kopf unter das erfrischende Nass zu halten oder ihre Wasserflaschen aufzufüllen. Und direkt neben ihnen sitzt auf einer Bank - Maria! Seit einer halben Stunde sitzt sie hier und fragt heraufkommende Radfahrer, ob sie unterwegs einen Pilger mit einem "carretto" gesehen hätten. Seit ungefähr einer Viertelstunde weiß sie, dass ich den Berg hochgestiefelt komme und lächelt mir freudig entgegen, als ich sie erkenne. Wir verlegen die anstehende Rast von der Bank in die gegenüberliegende Bar und ziehen dann gemeinsam die letzten drei Kilometer hinunter nach Valpromaro.

   Die Herberge in der Casa Canonica ist mal wieder ein Haus mit diesem besonderen Pilgerweg-Spirit. Zwei ältere ehrenamtliche Hospitaleros, Aldo und Ivano, begrüßen uns überaus herzlich und versorgen uns zu allererst mit Wasser. Die Tatsache, dass Maria aus Südtirol kommt und Italienisch spricht, hilft auch, die Kommunikation in Gang zu bringen und so dauert es eine ganze Zeit, bis wir unser Zimmer beziehen. Anschließend nutzen wir beide die Gelegenheit, dass eine Waschmaschine zur Verfügung steht, und waschen alles, was einem Textil nahekommt. Beim Relaxen im Liegestuhl im kleinen Garten bringt Ivano uns eine Schüssel mit Kirschen, Aldo kocht Kaffee.

    Nachmittags kommt noch Vincent, ein Holländer, der von seiner Heimatstadt Amsterdam aus Richtung Rom unterwegs ist. Wie fast jeder Via-Francigena-Pilger war Vincent auch schon auf dem Jakobsweg. Alle fünf, die wir jetzt im Haus sind, tauschen unsere Erfahrungen und Erlebnisse von beiden Wegen aus. Die Zeit vergeht blitzschnell.

   Am Abend kocht Ivano für uns alle ein Drei-Gänge-Menu, außerdem kommt eine große Flasche Rotwein auf den Tisch, es wird weiter erzählt und gelacht, einfach eine wunderschöne Atmosphäre. Eigentlich wieder kein Abend, um lange zu schreiben. Ich darf das jetzt aber auch nicht zur Gewohnheit werden lassen...

 

Zu den Karten:

6.6.: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmN3pxNGpzUFdRNHc/

7.6.: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmNEFlTXZJS0VUQkk/

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Dienstag, 24 Juni 2014 09:25)

    So nach meinem Urlaub bin ich nun auch wieder hier. Schön wieder deinen Blog zu lesen...


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