Ein Loblied auf Lucca

Valpromaro - Lucca (19 km)

   Der heutige Tag wird unter "Ruhetag" verbucht. Das lässt die Kilometerzahl nicht unbedingt vermuten, aber alles unter 20 Kilometern bei hauptsächlich flachem Höhenprofil erklären wir jetzt mal dazu. Zumal, wenn man um 7 Uhr losgeht umd um 12 Uhr schon an der Unterkunft ist. Das alles passt heute aber sehr gut, da wir nach Lucca kommen, einer der Perlen der Toscana.

   "Wir" sind immer noch Maria und ich sowie unser "Fliegender Holländer", Vincent. Er geht normal nicht unter 35 Kilometer am Tag, aber Zeit für Lucca möchte er sich auch nehmen. Gemeinsam stehen wir um 6 Uhr auf, frühstücken und gehen gestaffelt los. Maria zuerst, sie möchte vor allem nicht in die Hitze kommen, ist aber auch nicht so schnell. Wir verabreden uns für Piazzano an der Kirche. Ich gehe eine halbe Stunde später los, Vincent lässt sich noch eine Viertelstunde länger Zeit.

   Ich merke es bereits zu dieser frühen Stunde: Im Schatten lässt es sich gut gehen, in der Sonne ist es schon jetzt ordentlich warm. Wieder schenke ich mir einen steilen Pfad, der nach Piazzano hochführt und nehme die etwas längere, aber auch bequemere Serpentinenstraße. Kaum habe ich die ersten Häuser dieses idyllischen Bergdorfes erreicht, geht das Telefon. "Bist du schon den Berg hoch?" - "Klar, Maria, ich sehe auch schon die Kirche, ich bin gleich bei dir". Zwei Minuten später habe ich zu ihr aufgeschlossen, eine Minute später gehen wir wieder getrennt.

   Als Südtiroler Bergmädchen geht sie die steilen Pfade besonders gerne, egal ob rauf oder runter. Direkt hinter Piazzano führt so ein steiler Pfad wieder ins nächste Tal hinunter. Mein Wanderführer stellt ihn mir als "... steilen und alpin anmutenden Fußweg..." vor, der "... abschnittsweise mehr einem steil abfallenden Bachbett..." gleiche. Dann kommt der entscheidende Satz: "Alternative: Man kann auch auf der kleinen Straße ins Tal wandern." Wir verabreden uns unten im Tal.

   Als ich nach 20 Minuten mit meiner kleinen Straße auf die etwas breitere im Tal stoße, kommt just in diesem Moment Vincent auf dieser entlanggestürmt. Mit zwei großen Stöcken und weit ausholenden Schritten rauscht er an mir vorbei, teilt mir schnell mit, dass Maria kurz hinter ihm sei und ist auch schon wieder weiter. "Bis nachher in der Unterkunft!" ruft er noch und ist hinter der nächsten Kurve verschwunden. Zwei Minuten später ist Maria wieder bei mir und bestätigt, dass die Straße für mich wohl die klügere Entscheidung war. Na bitte!

   Die nächsten sechs Kilometer auf der Talstraße vereint uns der Wunsch nach einer Tasse Kaffee. Zwei kleine Orte liegen laut Wanderführer auf dem Weg, und da bisher in nahezu jedem Ort irgendwann eine kleine Bar auftauchte, hoffen wir auch jetzt auf eine. Beim ersten Ort, San Macario - Fehlanzeige! Die Sonne wird regelrecht aufdringlich, der Kaffeedurst größer. Der zweite Ort, Ponte San Pietro - auch Fehlanzeige! Ok, das ist nicht schön, aber nicht zu ändern. Umso eher sind wir in Lucca! Auf dem Damm des Flusses Serchio geht es weiter, kilometerlang. Feinen, fast weißen Schotter haben wir unter den Füßen, es wird heißer und heißer. Obwohl der Dammweg für Autos gesperrt ist, kommen uns immer wieder welche entgegen und hüllen uns in eine Staubwolke ein. Je näher wir Lucca kommen, desto mehr Jogger und Radfahrer begegnen uns. Schließlich ist mal wieder Sonntag, Pfingstsonntag sogar. Noch einmal eine kurze Rast, bevor wir uns ins Touristen-Getümmel von Lucca stürzen.

   Schwitzend schlurfen wir durch das eindrucksvolle Stadttor Porta San Donato und gehen direkt dahinter in die Touristeninformation. Wir holen uns den Stempel ab und, von der praktischen Seite gesehen viel wichtiger, einen Stadtplan. Wo liegt unsere Unterkunft? Schöne Erkenntnis: genau im Zentrum! Hier geht nochmal ein Dank an Aldo und Ivano nach Valpromaro. Sie haben uns erzählt, dass es diese Unterkunft überhaupt gibt. Sie steht in keinem Wanderführer und auf keiner Beherbergungsliste der Via Francigena und wird geführt vom Roten Kreuz der Kommune Lucca. Eigentlich war die Jugendherberge am nördlichen Stadtrand für die Nacht vorgesehen, aber eine Jugendherberge ist keine Pilgerunterkunft. Vier Betten soll es nur bei unserer Bleibe geben, mit Bad, Küche und Aufenthaltsraum, eigentlich ein Appartement. Wir steuern es direkt an, Stadtbesichtigung kommt später. Wir wissen nur nicht, ob wir schon reinkommen, von 15 Uhr war die Rede. Vielleicht können wir wenigstens unser Gepäck schonmal dort abstellen, das wäre doch was.

   Maria und ich überqueren gerade die Piazza San Salvatore, als ich ein "Reinhard!! Maria!!" höre. Vincent sitzt auf einer Bank und winkt uns zu. Er ist bereits seit einer Stunde hier, hat alles geklärt, den Schlüssel in der Hosentasche und führt uns zur richtigen Tür, direkt neben dem Kirchturm von San Salvatore und der Rotkreuz-Station. In den vierten Stock muss ich mich und meinen Wheelie hochwuchten. Das Treppenhaus sieht nicht gerade sehr einladend aus und ich befürchte eine Unterkunft der dritten Wahl. Wer weiß, warum sie in keinem Unterkunftsverzeichnis auftaucht.

   Doch als Vincent die Tür öffnet, verfliegt jeder Zweifel. Wir haben mal wieder ein gutes Los gezogen. Jeder von uns Dreien bekommt sein eigenes Zimmer, alles ist pieksauber, ein Fernseher steht im Aufenthaltsraum, Klimaanlage, eine Küche mit allem, was man braucht. Was wollen wir mehr?!

   Wir duschen, waschen unsere verschwitzten Klamotten, trinken Kaffee (endlich!) oder Tee. Dann kommt die Nachmittagsgestaltung: Vincent rennt sofort los zur Stadtbesichtigung, Maria schaltet den Fernseher ein und schaut als Tennisbegeisterte das Herren-Finale der French Open und ich... geh ins Bett! Herrlich!

   Zwei Stunden später schaut Maria immer noch Tennis, Vincent ist immer noch auf Stadtbesichtigung und ich... trinke noch einen Kaffee! Dann aber hält es mich auch nicht mehr im Haus.

   Als ich aus dem kühlen Flur in die Sonne hinaustrete, denke ich erstmal, ich würde gegrillt. Doch dann immer wieder für mich dieser deutliche Unterschied: in der Sonne nur schwer auszuhalten, im Schatten der engen Gassen kein Problem. Langsam ziehe ich kreuz und quer durch die schöne historische Altstadt mit ihre Plätzen und Kirchen: San Michele in Foro mit ihrer gewaltigen Marmorfassade, die Basilica di San Frediano, der Dom San Martino, die ovale Piazza Anfiteatro, die Piazza Napoleone, Piazza del Giglio. Es gibt die breiteren Gassen mit ihren Souvenirshops und Modegeschäften, Gelaterien, Restaurants, Bars und Cafes, in denen sich vor allem die Touristen drängen und die ruhigen, engen Gassen mit ihrem besonderen Charme, in die sich kaum jemand verirrt. Ich höre ein internationales Stimmengewirr und das Klicken der Fotokameras - und dann höre ich eine Gitarre und eine fantastische Männerstimme. Am Rand der Piazza San Michele sitzt ein Mann auf seinem Klappstuhl, neben ihm sein Hund, spielt auf seinem Instrument und singt dazu, dass mir eine Gänsehaut die Arme rauf- und runterläuft. Wie schon einige andere setze ich mich auf die Marmorstufen des Kirchplatzes und genieße diese besonderen Augenblicke in Lucca.

   Am Abend gehen Maria, Vincent und ich nochmal für etwas mehr als eine Stunde raus. Unsere gemeinsame Zeit wird bald vorbei sein. Vincent hat sich für morgen 40 Kilometer vorgenommen. Der Wahnsinnige! Bei diesen Temperaturen...! Maria und ich gehen noch zwei Tage mehr oder weniger gemeinsam durch die Toscana, dann werden sich auch unsere Wege trennen. Ich unterbreche meine Via-Francigena-Wanderung, um Pisa und Florenz zu besuchen, Maria geht direkt weiter Richtung Rom. So ist es bei den Pilgern, man trifft sich, man verliert sich.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmcC1VOTQtc3ltUVE/

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Kerstin und Hans-Jürgen (Montag, 09 Juni 2014 16:28)

    Hallo, Reinhard,

    liebe Grüße aus der jetzt recht sonnigen Pfalz nach bella Italia und auf den sonnigen Pilgerweg.
    Jatzt hast Du ja Pilgergefährten gefunden und es werden bestimmt wieder neue hinzu kommen.
    Eine toskanische Strecke liegt jetzt vor Dir. Ja, die Streckenbeschreibung durchs "Pilgerschutzgebiet" sollte man nicht immer so ernst nehmen, sonst käme man ja nie in Rom an. Genieß die Zeit und alles, was Dich noch erwartet.
    Verfolgen mit Spannung die nächsten Berichte und tollen Begegnungen.
    Liebe Grüße
    Kerstin und Hans-Jürgen
    P.S. Flattert unser Wimpel noch am Wheelie ?


Translation: