Hitzekammer

Lucca - Altopascio (18 km)

   Um 5 Uhr geht der Wecker. Schon etwas gewöhnungsbedürftig für mich. Vincent rappelt sich gerade hoch, als ich aus dem Bad komme, Maria ist schon in der Küche und setzt heißes Wasser für Kaffee und Tee auf. Wir frühstücken zusammen, aber jeder anders. Maria trinkt nur ihren Tee und kramt noch einen Müsliriegel aus den Untiefen ihres Rucksacks, ich kaue eine Viertelstunde an dem trockenen Brötchen, das ich seit drei Tagen mit mir rumschleppe und das nur durch die Beigabe von fast flüssiger Margarine den Weg durch meine Speiseröhre findet, und Vincent verdrückt Unmengen an Brot, das er immer mit sich rumträgt und in seinen Tee stippt. "Brot muss man immer genug dabei haben, damit man Reserven hat, wenn es mal nichts anderes gibt". Diesem Credo gehorchend schleppt er immer so viel Brot mit sich herum, dass es gehörig Platz im Rucksack einnimmt.

   Pünktlich um 6 Uhr, wie gestern Abend vereinbart, verlassen Maria und Vincent unser Appartement, ich lasse mir Zeit und folge erst eine Viertelstunde später. Von Vincent habe ich mich endgültig verabschiedet, er wird von heute an wieder mit Siebenmeilenstiefeln Rom entgegenstürmen. Mit Maria ist die erste Bar in Capannori, etwa drei Kilometer entfernt, als Treffpunkt abgesprochen.

   Morgens um kurz nach 6 Uhr ist Lucca eine ganz andere Stadt. Ich treffe kaum einen Menschen, geschweige denn Touristen. Es ist still in den Gassen, und nur ab und zu hallen Schritte zu mir herüber, wenn doch einmal ein eiliger Einheimischer in der Nachbargasse unterwegs ist. An einem Brunnen füllt sich eine Frau Wasser in große Korbflaschen ab und die ersten Bars werden gerade aufgeschlossen. Die noch angenehme Kühle versuche ich mit allen Poren zu genießen, denn in spätestens zwei Stunden wird das wieder anders sein. Kein Gedränge, kein Stimmengewirr, nur ich allein ziehe die Via Roma und die Via Santa Croce hinunter, wie Hunderttausende von Pilger im Mittelalter vor mir und seit einigen Jahren wieder.

   Durch das große Stadttor Porta Elisa verlasse ich die Altstadt und erst jetzt wird es wieder lauter, hektischer. Langsam beginnt der Berufsverkehr und es wird wieder so, wie bei vielen Städten in den letzten Tagen und Wochen, die ich morgens verlassen habe. Immer mehr und mehr Autos rauschen an mir auf der langen Ausfallstraße vorbei und ich bin immer froh, wenn ich mal abzweigen kann und wieder die Ruhe einer kleinen Nebenstraße oder eines Feldweges finde.

   Nach knapp eineinhalb Stunden bin ich in Capannori. Hoffentlich finde ich jetzt auch die erste Bar des Ortes und bin nicht schon an ihr vorbeigezogen. Obwohl ich nur eine Viertelstunde nach Maria losgezogen bin, habe ich es nicht geschafft, sie einzuholen. In der Morgenkühle ist sie tatsächlich immer recht zügig unterwegs. In der Mittags- oder Nachmittagshitze und nach vielen Asphaltkilometern ändert sich das aber. Nicht umsonst fängt bei ihr der frühe Vogel den Wurm.

   In der Tat finde ich sie vor der ersten Bar wieder. Sie liest gerade die Zeitung und ihren Espresso hat sie schon weg, was auch kein Wunder ist. Das ist ja auch nur ein halber Schluck. Da kommt mein groooooßer Kaffee Americano, den ich mir bestelle, doch gleich ganz anders daher. Obwohl er nicht größer ist als eine normale Tasse in heimatlichen Gefilden.

   Die Wettervorhersage in der Zeitung bestätigt das Internet: Mindestens noch bis zum kommenden Wochenende bleibt es heiß, 35ºC im Schatten und vielleicht noch mehr. Wäre mir Regen lieber? Nein, also bitte! Ich hoffe nur, mein Kreislauf macht das bis zuletzt alles mit.

   Gemeinsam laufen wir nun weiter. Immer noch geht es an meist schnurgeraden Straßen weiter und der Verkehr wird nicht unbedingt weniger. Die Sonne klettert immer höher und die bisher oft wohltuenden Schatten werden kürzer und nützen uns nichts mehr. Die menschlichen Besiedlungen haben heute noch nicht aufgehört, wie wäre es mal mit einem schönen Wald?! Maria möchte schon ziemlich bald wieder eine Pause, aber auch "irgendwo" Obst kaufen. "Irgendwo" kommt nach einiger Zeit bei einem Supermarkt in Porcari. Direkt daneben gibt es eine kleine Grünanlage mit Bänken im Schatten. Das passt! Maria kauft Obst für sich und Joghurt für mich, während ich draußen aufs Gepäck aufpasse. Beim Essen und Ausruhen stellen wir fest, dass Zweidrittel der Tagesstrecke bereits geschafft sind und es erst 9.30 Uhr ist. Bleibt noch ein letztes Drittel.

   Als wir aus dem Schatten der Grünanlagenbäume heraustreten, habe ich das Gefühl, als tauche ich in eine heiße Badewanne. Meine Herren, wie soll das werden, wenn mir bei ähnlichen Temperaturen längere Tagesstrecken als heute bevorstehen, wenn es in der weiten Hügellandschaft der südlichen Toskana so gut wie keinen Schatten mehr gibt. Aber das sind Bedenken für spätere Tage, heute ist heute. Also weiter!

   Hinter Turchetto kommt unsere 20minütige Genussstrecke: Wir dürfen von der Straße runter, ein paar hundert Meter Feldweg, ein kleiner Wald, ein ausgetrockneter Bach, den wir auf einer kleinen Holzbrücke überqueren, dann ein Blick auf das frühere, schwer renovierungsbedürftige Kloster Abbazia di Pozzerevi, nochmal hundert Meter Wald - und schon hat uns die Straße wieder. Diesmal eine vier Kilometer lange Anliegerstraße, die uns verkehrsarm, aber auch schattenlos nach Altopascio hineinbringt. Maria wird immer langsamer, möchte am liebsten noch eine Pause. Nur eine laute Baustelle am Ortseingang kann das verhindern. Dreihundert Meter danach sind wir dann auch an unserer Unterkunft. Viele Betten in kleinen Räumen, stickige Luft, keine Klimaanlage - wir hatten es schon mal besser. Die Fenster aufzureißen, trauen wir uns auch nicht. Da kann ja nur noch wärmere Luft von draußen nach drinnen kommen - und Mücken.

   Altopascio ist nicht unbedingt ein Ort, den man lange besichtigen muss. Also bleibe ich, im Gegensatz zu Maria, im Haus, schwitze leise vor mich hin und stehe immer mal wieder kurz vor leichten Erstickungsanfällen. Bei der Hitze habe ich keinen Hunger, schütte dafür aber brav Wasser wie ein Kamel in mich hinein. Ich hoffe auf den Abend, auf kühlere Temperaturen, auf ein leckeres Nudelgericht, ein eiskaltes Bier oder ein ebenso kaltes Glas Weißwein. Und ganz zum Schluss stecke ich meinen Kopf in einen Riesenbecher Stracchiatella. So ist der Plan!

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmN2xQTEItYTZwb0E/

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Dienstag, 24 Juni 2014 17:18)

    Oha! Vatter und Hitze... Das passt nicht gut zusammen. Aber war ja zu erwarten...


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