Unter Touristen (I)

Pisa

   Jetzt sind sie alle weg, die lieben Wanderfreunde, mit denen ich in den letzten Tagen mehr oder weniger lange unterwegs war. Es war eine nette Truppe, gerne wäre ich mit ihnen gemeinsam in Rom eingezogen. Ich bin aber inzwischen sicher, ich werde andere treffen. Auf dem Weg ist es voller geworden.

   Die Nacht war wieder nicht sehr angenehm. Sechs Personen auf nicht viel mehr als zehn Quadratmetern, dazu fünf große Rucksäcke und ein Wheelie, da kommt schon das Gefühl der Enge auf. Wenn dann noch die Klimaanlage klappert, dass man nicht einschlafen kann, sie ausgeschaltet wird mit der Folge, dass es wieder unerträglich warm und stickig wird, dann ist der Schlaf doch etwas reduziert. Aber schließlich habe ich kein 5-Sterne-Hotel gebucht.

   Als die anderen das Zimmer verlassen und losziehen, reiße ich die Tür auf und pfeife auf eventuell einfliegende Mücken. Ich schlummere noch eine Viertelstunde, dann stehe ich auch endgültig auf. Es ist 6.15 Uhr. Heute und morgen sind meine "Ausflugstage" nach Pisa bzw. Florenz. Ich bin mir zwar wegen der Hitze nicht so sicher, ob das eine wirklich gute Idee ist, aber wer weiß, ob ich sonst nochmal so günstig dorthin komme. San Miniato Basso ist eine gute Ausgangsbasis, um in diese beiden großen Kulturhöhepunkte Italiens zu gelangen. Mit dem Zug sind es nach Pisa eine halbe Stunde, nach Florenz 40 Minuten, die Fahrkosten für Hin- und Rückfahrt belaufen sich auf weniger als 10 Euro. Ich werde aber wirklich nur Kurztripps daraus machen, denn diese Hitze und der Touristenauflauf sind nicht das, was ich jetzt brauche. Ein erster Eindruck von Pisa und Florenz reicht mir völlig.

   Zum Glück darf ich dreimal in der Herberge übernachten, was nicht selbstverständlich ist. So kann ich mir teure Übernachtungskosten in den beiden Städten sparen. Den Wheelie lasse ich im Zimmer, ich denke, ich bin wieder zurück, wenn die ersten Pilger heute eintrudeln. Der Bahnhof von San Miniato Basso liegt eineinhalb Kilometer außerhalb des Ortes. Um kurz nach 7 Uhr bin ich da, der Zug fährt eine Viertelstunde später. Touristen sitzen nicht im Zug, nur Einheimische, die zu ihrer Arbeitsstelle pendeln. Die Japaner, Amerikaner oder Deutschen kommen mit Flugzeug, Reisebus oder Wohnmobil.

   Der große Touristenansturm ist noch nicht eingetreten, als ich kurz nach 8 Uhr vom Bahnhof in Pisa durch die Fußgängerzone gehe. Die Temperatur ist noch angenehm und ich beschließe, den Städtetrip mit einer Tasse Kaffee vor einem Café zu beginnen. Am Nachbartisch sitzt ein deutsches Paar, das gerade generalstabsmäßig sein Besichtigungsprogramm plant und dabei nicht immer auf einen Nenner zu kommen scheint. Stress und Streit ist angesagt, genau die richtige Voraussetzung für einen schönen Stadtausflug. Da lob ich mir doch, dass ich hier mein eigener Herr bin, tun kann, was ich will, und lassen kann, was ich will. Ich kann bleiben, solange ich möchte, und fliehen, wenn ich es nicht mehr aushalte.

   Für mich, der ich jetzt schon viele italienische Städte gesehen habe, bietet Pisa zunächst mal nichts umwerfend Neues. Nur wenn man die Altstadt der Länge nach durchquert hat, kommt man bei den Überresten der alten Stadtmauer zu dem, was jeder Italientourist in seinem Leben mindestens einmal gesehen haben muss: den schiefen (Glocken-)Turm. Als ich gegen 9 Uhr das große Gelände mit dem Dom, seinem Turm und dem kuppelförmigen Baptisterium erreiche, halten sich die Menschenmassen noch in Grenzen, doch nur eine halbe Stunde später ist der Teufel los. Durch ein Tor strömen sie herein, angeführt von ihren Führern, die wie moderne Rattenfänger von Hameln ihre jeweilige Herde mit dem hochgehaltenen roten Regenschirm anführen. Alleine scheinen nur die wenigsten unterwegs zu sein, alle folgen brav demjenigen, der ihnen was zu erzählen hat. Manche hören zu, viele in den hinteren Reihen schon bald nicht mehr. Zweidrittel jeder Gruppe schwärmen aus, um zu fotografieren, das andere Drittel hört brav zu. Der größte Teil der "Fotografen" scheint nur ein Motiv zu kennen: Ehefrau, Freund oder Freundin strecken die Arme Richtung Turm aus und wollen die Illusion erwecken, als würden sie so den Turm am Umfallen hindern. Andere versuchen es mit einem Fuß, mit dem Hintern oder sogar zu zweit oder dritt. Ich setze mich auf eine Stufe am Dom und amüsiere mich köstlich über diese Verrenkungen. Wenn mir eins von Pisa in Erinnerung bleibt, dann dieses.

   Nach etwa einer Stunde verlasse ich diese Topadresse europäischer Sehenswürdigkeiten und schlendere in aller Ruhe kreuz und quer durch den Fußgängerbereich und die angrenzenden Gassen zurück zum Bahnhof. Ich habe genug von diesem Rummel, der mich mehr nervt, als die wieder stark aufkommende Hitze. Eine Stunde später bin ich wieder in der Pilgerherberge von San Miniato Basso.

   Dort läuft dann das gleiche Programm ab, wie an einem Pilgertag. Duschen, Wäsche waschen, relaxen. Am Nachmittag kommen drei neue Pilger, Jeanette und Pierre aus Frankreich und Heinz aus Deutschland, alles "alte Pilgerhasen", mit denen es viel zu erzählen gibt. Abends gehen wir zusammen essen, sitzen noch lange draußen vor der Herberge und finden alle zusammen unser gegenwärtiges Leben gar nicht so schlecht.

 

 

 

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