Bilderbuch-Toskana

San Miniato Basso - Chianni (27 km)

   Als ich gestern Abend in meiner Ausweichunterkunft zum Essen runtergehe, ist dort hektische Betriebsamkeit im Gange. Auf der Restaurant-Terrasse werden einige Tische und Stühle mehr aufgestellt als üblich, an der Straße wird ein Stand aufgebaut und geschmückt und irgendwann laufen der Chef und seine Leute in mittelalterlichen Kostümen rum. Ich gehe an die Straße, blicke nach links und rechts und sehe, soweit ich die Straße einsehen kann, ähnliche Aktivitäten. Strohballen liegen überall herum, Fackeln werden aufgestellt, große Grills aufgebaut. Was geht hier vor?

   Ein Handzettel auf meinem Tisch und Nachfragen bei meiner netten Bedienung klären mich auf. An diesem verlängerten Wochenende finden mehrere Gedenk- bzw. Werbeveranstaltungen zur Via Francigena statt. Ich denke, man will damit diesen Weg, der erst vor einigen Jahren wieder aus seinem Dornröschenschlaf erweckt wurde, durch diese jährlich stattfinden Events neu im Bewusstsein der Bevölkerung verankern und eine Identifizierung mit ihm fördern. Die ganze Veranstaltung bekommt einen mittelalterlichen Touch, die Medien berichten über die Vergangenheit und Gegenwart des alten Pilgerweges und die örtliche Gastronomie und die Beherbergungsbetriebe bekommen die Chance, davon zu profitieren.

   Ich wundere mich, dass die Vorbereitungen für diese Veranstaltung erst nach 18 Uhr beginnen, aber ich denke, man weiß seit einigen Jahren, wie es geht. Ein erster Gang von mir nach dem Essen die Straße rauf und runter erweckt bei mir den Eindruck, als würde das hier nur eine drittklassige Verkaufsveranstaltung des örtlichen Gewerbes mit einigen Verköstigungsständen und "mittelalterlicher" Ausschmückung und ich ziehe mich zum Blogschreiben auf mein Zimmer zurück.

   Im Verlauf des Abends nimmt zu meiner Verwunderung das Stimmengewirr auf der Straße an Intensität gewaltig zu. Na gut, denke ich, die Italiener verstehen eben zu feiern! Um Punkt 21.30 Uhr, ich habe gerade den Blog beendet, zucke ich zusammen. Trommeln werden geschlagen, laut und durchdringend. Ich gehe raus auf meinen Balkon (jaaa, mein Zimmer hat einen Balkon!) und sehe den Anfang eines Umzuges. In historischen Kostümen zieht ein Traditionsverein mit seinen Landsknechtstrommeln vorweg, gefolgt von Fahnenschwenkern, die wahre akrobatische Kunststücke mit ihren Fahnen vollführen. Danach kommen Männer, Frauen und Kinder, die mit ihren Kostümen die Menschen des frühen Mittelalters nachempfinden, wie sie auf und an der Via Francigena vorzufinden waren: natürlich der Pilger, Bischof Sigeric, Mönche, Nonnen, Händler, Bauern, Soldaten. Und ganz zum Schluss ziehen die Pilger von heute mit ihren Rucksäcken und Isomatten, Schlafsäcken und Wanderstab. Menschenmengen stehen zu beiden Seiten der Straße und schauen zu und schließen sich zum Schluss dem Zug an. Ich denke, damit ist nun die Veranstaltung im Wesentlichen vorbei, bis auf das große Trinken und Essen, was an den diversen Ständen stattfindet, und bleibe auf meinem Zimmer. Mir steht einfach nicht der Sinn nach großen Menschenmengen und ich mittendrin. Gerade will ich mich ins Bett legen, als die Trommeln, die Fahnenschwenker...., der gesamte Umzug, wieder zurückkommen. Nochmal gehe ich auf meinen "Ehrenplatz" auf dem Balkon und bekomme diesmal, genau vor mir, eine 10minütige Extra-Showeinlage der Fahnenschwenker geboten. Erst als danach dann alles weiterzieht, scheint die Veranstaltung wirklich zu Ende zu sein. Ich lege mich beeindruckt ins Bett, stecke mir meine Ohrenstopfen in die dafür vorgesehenen Körperteile und schlafe ruckzuck ein.

   Als ich morgens um 6 Uhr auf die Straße heraustrete um weiterzugehen, ist von allem nichts mehr zu sehen. Alles ist abgebaut, gesäubert, ich finde nicht einen Strohhalm. Kompliment!

   Der Wandertag beginnt mit einem relativ kurzen Aufstieg nach San Miniato Alto, immer mit der Häuserzeile dieses alten Ortes und seinem Wahrzeichen, dem Torre di Frederico II., vor Augen. San Miniato Alto liegt an zwei mittelalterlichen Verkehrswegen, neben der Via Francigena war dies die Straße von Pisa nach Florenz. Nicht umsonst gibt es hier die Zuglinie, mit der ich diese beiden Städte erreicht habe. Kaiser Friedrich Barbarossa wählte diese günstige Stelle und ließ eine Burg erbauen, von der aus er seine Finanzgeschäfte erledigte. Friedrich II. verlieh im 13. Jahrhundert dem Ort weitere Privilegien. Der Torre di Frederico II., der sich hoch über dem Ort erhebt, ist das einzige Überbleibsel dieser Kaiserburg von 1218.

   Von San Miniato Alto an habe ich die "Bilderbuch-Toskana" vor mir. Ich ziehe leichte Hügel auf und ab und die Blicke in alle Richtungen sind fantastisch. So weit das Auge reicht reihen sich die Hügel neben- und hintereinander, nur noch auf wenigen wächst das Getreide, auf den gelben Stoppelfeldern liegen verstreut die Rundballen mit Stroh. Oliven und Wein wachsen dazwischen, Ginster blüht und immer wieder sehe ich die typischen Zypressenreihen. Kilometerlang gehe ich auf weißen Schotterwegen oder angenehmen Wiesenpfaden durch diese Landschaft und kann mich nicht sattsehen. Ab und zu nur sehe ich Menschen, die in den Olivenhainen und Weinhängen arbeiten, manchmal begegne ich Traktoren, die vorsichtig an mir vorbeifahren. Die Wiesenpfade sind von der Hitze und der lang anhaltenden Trockenheit zum Teil breit aufgerissen und immer wieder suchen kleine Eidechsen, die blitzschnell über den Weg laufen, darin Zuflucht.

   Alles wäre ein einziger Genuss, wenn nicht die Sonne sich vorgenommen hätte, aus mir ein Grillsteak zu machen. Ab 10 Uhr wird es heißer und heißer, Schatten finde ich bald keinen mehr. Die Luft über den Schotterwegen flimmert und der Schweiß fließt in Strömen. Ich zwinge mich, mich auf die herrliche Landschaft zu konzentrieren und bekomme das auch ganz gut hin. Ich denke, auch diese Hitze gehört einfach zur Toskana, also bekomme ich das gesamte Programm.

   Unter dem einzigen Baum, den ich nach vielen Kilometern antreffe, einer kleinen Eiche, steht eine Bank. Endlich Gelegenheit, im Schatten eine Rast einzulegen. Vor acht Jahren haben genau hier vielleicht auch andere gerastet, ehemalige Schweizergardisten.

   Im Mittelalter hatten die Schweizer Söldner einen ausgezeichneten Ruf. 1505 stellte der damalige Papst Julius II. die Anfrage, diese zum Schutz des Vatikans einzusetzen. Der Anfrage wurde schon bald stattgegeben und die ersten 150 Schweizergardisten machten sich auf den Weg nach Rom - zu Fuß natürlich. Sie trafen dort am 22. Januar 1506 ein. Das Jahr 1506 wird daher als Gründungsdatum der vatikanischen Schweizergarde angesehen. Zum 500-jährigen Jubiläum im Jahr 2006 zogen ehemalige Schweizergardisten in einem Gedenkmarsch zu Fuß von der Schweiz nach Rom. Eine kleine Gedenktafel unter der kleinen Eiche erinnert an dieses Ereignis.

   Das letzte Drittel der Strecke wird hart. Nicht nur die Hitze nimmt immer weiter zu, es geht auch beständig bergauf. Das Positive an diesem Streckenabschnitt: Ich kann zweimal an Wasserhähnen unterwegs Wasser "nachtanken". Das ist auch bitter nötig. Irgendwann sehe ich auf einem Berg die Häuser von Gambassi Terme liegen. Dort hinauf muss ich nicht mehr, aber mir reicht auch die Hälfte dorthin. Meine Unterkunft ist das Ostello Sigerico im kleinen Vorort Chianni, direkt bei der alten romanischen Kirche Santa Maria. Im Tagebuch des Erzbischofs Sigeric wird von einer Rast bei der Kirche Santa Maria Glan erzählt, womit wahrscheinlich dieser eindrucksvolle Bau "Santa Maria a Chianni" oder ein Vorgängerbau gemeint ist. Seit 2011 ist hier in dem alt-ehrwürdigen Gebäude ein schönes Ostello eingerichtet, wo auch Pilger stilvolle Aufnahme finden.

   Obwohl es bei der Reservierung hieß, dass erst um 15.30 Uhr geöffnet wird, empfängt mich Laura, die das Ostello führt, mit einem strahlenden Lächeln. Ich bin angekommen, Gott sei Dank! Noch eine Stunde länger und ich wäre gargekocht oder verkohlt.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmTDhKRUZsNWV2UmM/

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Mittwoch, 25 Juni 2014 09:16)

    Hm da schreit die Toskana ja fast danach mein nächstes Urlaubsziel zu werden.


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