Via Cassia Antica

Montefiascone - Viterbo (22 km)

   So reichhaltig und schmackhaft das Abendessen gestern bei den Benediktinerinnen in Montefiascone auch war, das Frühstück ist wieder spartanisch. Sechs kleine Scheiben trockenes Weißbrot, eine Tüte mehr als trockener Zwieback, ein wenig Marmelade, eine halbe Thermosflasche Kaffee - für Marion, Antonella und mich. Sie kennen es halt nicht anders. Schon jetzt male ich mir aus, wie so ganz anders mein Frühstück in zehn Tagen aussehen wird. Aber ich muss ganz schnell damit aufhören, das macht alles ja nur noch schlimmer.

   Wieder ist der Himmel mit dunklen Wolken verhangen, und als ich die Piazza V. Emanuel überquere, ist sogar das Kreuz auf der großen Kuppel des Doms nicht zu erkennen. Die Wettervorhersage im Internet hat es aber so vorhergesagt, es ist also keine böse Überraschung. Ab morgen soll es dann wieder besser werden. Die Via Francigena führt mich wieder auf den Altstadthügel hinauf und verschafft mir damit nochmal einen letzten Blick hinunter auf den Bolsenasee. Dann geht es erstmal nur bergab. Dabei verlasse ich Montefiascone viel schneller als ich hineingekommen bin. Inzwischen ist es fast ungewohnt, nicht zuerst an der Cassia entlangzulaufen, sondern bereits nach zehn Minuten einen fußfreundlichen Weg unter den Schuhsohlen zu haben. Es geht sich wie von alleine und es wird sich herausstellen, dass das den ganzen Wandertag so bleibt.

   Hinter der kleinen Marienkapelle Madonna del Rosario höre ich wieder gewaltig den Mantel der Geschichte rauschen. Vor mir erstreckt sich für mindestens einen Kilometer die historische Handelsroute Via Cassia Antica, die sich ganz deutlich durch ihre großen unregelmäßig geformten Steinplatten auszeichnet. Ich kann mir nicht helfen, in solchen Momenten geht meine Fantasie immer mit mir durch und ich sehe Bilder vor mir: Da ist die Legion römischer Soldaten, die hier entlangmarschiert. Vielleicht sind sie unterwegs über den Cisa-Pass, vielleicht sogar über den Großen St. Bernhard in Richtung Gallien. Oder zum Limes nach Germanien? Oder gar nach Colonia? Ich höre sie förmlich marschieren. Da sind die von Ochsen gezogenen Karren mit Handelswaren, die über die Steinplatten rumpeln. Was haben sie alles geladen? Wo kommen sie her, wo ziehen sie hin? Da sind die Pilger, die über viele Jahrhunderte hinweg auf ihr entlangziehen. Wo kommen sie alle her? Wie lange sind sie schon unterwegs? Was haben sie bereits alles durchmachen müssen? Warum haben sie diesen Weg auf sich genommen? Wie sind ihre Gefühle, jetzt, so kurz vor dem Ziel? Ich bekomme eine Gänsehaut.

   Sie alle werden auch auf die Thermalquellen getroffen sein, auf die ich wenig später stoße. Das Thermalwasser der Terme del Bagnaccio entspringt mitten zwischen den Kornfeldern nur wenige Kilometer von Viterbo entfernt mit weit über 50ºC und läuft durch schmale Rinnen in mehrere kleine Becken. Ringsum wachsen kleine Palmen, Oleander und andere schöne Pflanzen und verleihen dem Ort eine richtige Urlaubsstimmung. Das einzige, was nicht so ganz angenehm ist: Es stinkt nach faulen Eiern. Doch die Badegäste stört das offensichtlich überhaupt nicht. Was heilsam ist, riecht nicht immer unbedingt nach Rosen. Männer und Frauen im fortgeschrittenen Alter räkeln sich im bauchnabeltiefen Wasser, unterhalten sich und lassen es sich gutgehen. Auf die Länge eines Bechers Kaffee aus dem Automaten raste ich an diesem friedlichen Ort und mache mich dann an die letzten sieben Kilometer bis Viterbo.

   Es geht durch flaches Land, mal links rum, mal rechts rum, die Häuser der Stadt sehe ich schon lange vor mir, aber es zieht sich. Die Kornfelder sind inzwischen braun, es wird Zeit, dass geerntet wird. Ein Hase kreuzt meinen Weg und drei Fasane flattern plötzlich laut gurrend zwischen den Ähren hervor und jagen mir einen gewaltigen Schrecken ein. Als ich an der hohen Mauer des Friedhofs vorbeikomme, weiß ich, dass es jetzt nicht mehr weit sein kann. Zehn Minuten später gehe ich durch das Stadttor Porta Fiorentina.

   Es gab in den vergangenen Wochen Städte, die nahmen mich sofort gefangen. Diese tut das nicht. Sie wirkt auf mich düster, irgendwie schmutzig. Die Plätze sind mit einfachen Bierzelten vollgestellt, die Gassen zugeparkt mit Autos. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass die Sonne nicht scheint, Donner grollt sogar, es regnet mal kurz. Obwohl auch hier (Kirchen-)Geschichte geschrieben wurde: Päpste haben hier residiert und liegen hier in Kirchen begraben und von November 1268 bis September 1271 fand in dieser Stadt das mit 1005 Tagen bisher längste Konklave statt. Es begann mit 20 Kardinälen, drei davon starben in diesem Zeitraum und einer verließ die "geschlossene Gesellschaft". Schließlich wurden die verbleibenden Kardinäle bis zur Wahl eines neuen Papstes auf Wasser und Brot gesetzt, was dann Erfolg hatte. Der Zweck heiligt eben doch oft die Mittel.

   Auf meinem Weg zur Herberge gehe ich an der romanischen Kathedrale San Lorenzo und am Palazzo dei Papi, dem Papstpalast aus dem 13. Jahrhundert, vorbei - beides beeindruckt mich nicht sehr. An Viterbo gehen die großen Touristenströme vorbei und das Geld zur Erhaltung und Renovierung kultureller Zeugnisse ist wohl knapp. Ich bin froh, als ich in der Herberge bin.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmV1ozTUhad2ZSVjA/

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Sebastian (Donnerstag, 26 Juni 2014 22:50)

    Genieße die letzten "paar" Kilometer nach Rom!!

  • #2

    Der Kronprinz (Freitag, 27 Juni 2014 07:59)

    Automatenkaffee mit faulen Eiern - hmmmm lecker!


Translation: