Quer durch die Nüsse

Vetralla - Sutri (23 km)

   Gestern Abend kam noch ein Schweizer Ehepaar ins Kloster. Für das gemeinsame leckere Abendessen, das uns die Nonnen wiedermal servierten, kamen sie zu spät, aber auch für sie war noch was übrig. Beim Frühstück hörten Antonella, Marion und ich dann ihre kleine Geschichte. Rienzo und Grit kommen aus der Nähe von Martigny im Kanton Wallis an der Via Francigena, dort, wo es das Bernhardinermuseum gibt. Von dort aus haben sie sich auf ihre "Schongang"-Pilgerreise begeben, d.h. sie sind jeden Tag immer ca. zehn Kilometer gewandert und dann mit dem Bus oder Zug weitergefahren. Ihr Streben war und ist, am heutigen Samstag in Rom am Vatikan zu sein. Ihr Sohn Andreas beendet heute seinen zweijährigen Dienst bei der Schweizergarde und das wollen sie gemeinsam in Rom feiern. Mit Andreas' Sachen fahren die Eltern dann ins Wallis zurück, während der Sohn auf der Via Francigena zu Fuß nach Hause geht. Auch heute gehen Rienzo und Grit nur bis Capranica und fahren dann mit dem Zug nach Rom hinein. Pünktlich zu Andreas' letztem Dienstschluss stehen sie dann vor dem Kasernentor. Das hat doch was!

   Die Tage, die vom Wetter her morgens schon etwas kritisch aussahen, sind anscheinend vorbei. Bei herrlichstem Sonnenschein und blauem Himmel mache ich mich wieder auf den Weg. Marion ist etwa eine Viertelstunde vor mir los, Antonella hat ein wenig verschlafen und muss erst noch packen. Spätestens in Sutri werden wir uns aber wiedertreffen und in derselben Unterkunft übernachten. Überhaupt scheint es so auszusehen, dass wir drei, wenn vielleicht auch nicht gemeinsam Hand in Hand, so doch am gleichen Tag, in Rom ankommen und die erste Nacht dort in derselben Unterkunft verbringen werden. Marion, das "Gemeindekind" von Pastor Piet aus Holland, werde ich dann schon zwei Wochen kennen, in Siena ist sie mir das erstemal über den Weg gelaufen.

   Ich merke heute schnell, wie die Temperaturen ansteigen. Hätte ich vielleicht doch etwas eher als um 7.30 Uhr losgehen sollen? Aber ich habe Glück, ein herrlicher Eichenwald kommt mir zu Hilfe, bevor mir die Sonne schon am Morgen die Kräfte aus dem Körper saugen kann. Wohltuend spenden die Bäume mir Schatten und nahezu malerisch schlängelt sich der Weg zwischen ihnen entlang. Zweimal kreuzen Eichhörnchen über ihn hinweg und bringen sich schnell vor mir in Sicherheit. Ich muss schmunzeln, als ich sie hoch oben am Stamm zu mir hinunterlugen sehe, als möchten sie sich davon überzeugen, dass ich ihnen nicht auf den Baum folge. Das wäre normalerweise natürlich kein Problem für mich, aber mit dem Wheelie doch etwas mühsam. Die Vögel rings um mich herum scheinen fast mit ihrem Gezwitscher zu wetteifern und ich interpretiere es für mich als Anfeuerung für die letzten Kilometer. "Go, Pilger! Go!"

   Bald darauf kreuzt mein fußfreundlicher Weg mal wieder die Staatsstraße 2, die neue Cassia. Wie lange begleiten mich jetzt schon diese Straße oder ihre (antiken) Vorgänger? Ich glaube, noch vor Siena bin ich erstmalig auf sie gestoßen und bis zum letzten Wandertag werde ich sie immer mal wieder unter den Füßen haben.

   Ein Holztor direkt neben dieser Schnellstraße gibt mir jetzt Einlass in weite Haselnussplantagen. Bald scheint es ringsum mich herum nichts anderes mehr zu geben als Haselnüsse. Mal sind die Bäume mit den noch grünen Früchten so hoch wie stattliche Obstbäume, mal sind sie noch klein und gerade erst gepflanzt. Die alten Bäume stehen meist bunt durcheinander im hohen Gras, die jungen sauber aufgereiht auf abgemähten Flächen. Manchmal kaum auszumachen geht der Weg durch diese Plantagen hindurch und ich muss schon höllisch aufpassen, um die spärlich vertretenen Markierungen nicht zu übersehen. Trotzdem macht es großen Spaß, hier quer durch die Plantagen zu gehen, und ich bedauere es richtig, als dieser Wegabschnitt vorbei ist.

   Doch dann kommt eine andere nette Abwechslung: Über etwa einen Kilometer hinweg begleitet mich auf meiner Schotterstraße eine Allee riesiger Pinien. Ganz abgesehen vom Schatten, den sie werfen, werfen sie auch mit ihren fast fußballgroßen Zapfen um sich. Etliche davon liegen auf der Straße und verführen nahezu dazu, sie durch die Gegend zu kicken. Ich mache mir einen Spaß daraus, immer einen zwischen zwei anderen hindurchzuschießen - was mir in zwei von drei Fällen misslingt. Die eiförmige Gestalt verhindert eine höhere Trefferquote... sag' ich jetzt mal.

   Irgendwann fällt mir auf, dass mein Wheelie klappert. Wieder ist es das linke Rad, das immer mehr herumeiert, weil sich eine Schraube mit der Zeit lockert, ich sie aber nicht mit der Hand festziehen kann. Ich habe wirklich nichts in meiner Packtasche, was ich nicht brauche bzw. nicht eventuell doch mal brauchen könnte. Dann hätten aber doch ein passender Schraubenschlüssel und eine kleine Flachzange auch noch Platz gehabt! Das nächstemal bin ich schlauer! So schaue ich immer wieder über die linke Schulter nach hinten auf das Rad und hoffe, dass es mir nicht abfällt.

   Und das tue ich wohl auch in dem Moment, als ich eigentlich auf den passenden Weg hätte achten sollen, denn ich laufe falsch. Als ich das realisiere, bin ich aber schon so weit vom verpassten Abzweig weg, dass sich alles in mir sträubt, wieder zurückzugehen, auch noch bergauf! Ich gehe einfach auf der Schotterstraße weiter und halte unterwegs einen Bauern auf seinem Trecker an, der auf dem Weg zu seiner Plantage ist, um dort zu mähen. Er bestätigt mir netterweise, dass auch dieser Weg nach Capranica geht, und ich habe ein Problem weniger. Außerdem, wer weiß, wofür das gut war!? Vielleicht hat ja diese harmlose Schotterstraße, auch wenn sie möglicherweise zwei Kilometer länger war, meinem angeknacksten Wheelie weniger weh getan, als der verpasste Feldweg. Also immer positiv sehen!

   In Capranica raste ich am Ortsende in einer schattigen Grünanlage. Und prompt läuft mir Marion wieder über den Weg. Sie war oben im Ort bei einer Bar, ich habe mir diesen Umweg gespart. Gemeinsam beschließen wir, die restlichen drei bis vier Kilometer jetzt wieder an der Cassia entlangzugehen. Erstens verläuft die Via Francigena als "Schikane" im Anschluss den Berg hoch und hinterher nach Sutri wieder runter, und zweitens kann mein Wheelie die ebene Asphaltstrecke jetzt besser vertragen. Ganz abgesehen davon spekuliere ich etwas darauf, an der Cassia entweder kurz nach Capranica oder kurz vor Sutri an einer Tankstelle oder einer Autowerkstatt vorbeizukommen, die mein Wheelie-Problem löst.

   Ich habe tatsächlich Glück! Etwa auf halber Strecke kommt eine etwas heruntergekommene Werkstatt, aber der ölverschmierte Mechaniker nimmt sich bereitwillig meiner Sache an und tut sein Bestes. Wenigstens bis Rom müsste das Rad jetzt wieder problemlos rollen.

   Eine halbe Stunde später sind Marion und ich in Sutri und nach etwas Suchen finden wir auch unsere Unterkunft, das Kloster der Karmeliterinnen in der Via Garibaldi. Das wievielte Kloster ist das eigentlich schon, in dem ich schlafe? Das muss ich direkt mal nachzählen...

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmUWRBZjh1c1RDdzg/

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sebastian (Sonntag, 29 Juni 2014 14:38)

    In 2 Tagen um diese Zeit...


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