Küss den Dreck, Wanderfreund!

Balduinstein - Aarbergen-Michelbach (25 km)

   Nachdem ich an den letzten beiden Abenden bekanntlich Probleme mit der Technik, genauer mit dem Internet hatte, hat gestern Nachmittag und Abend alles problemlos geklappt. Bei zwei Kännchen Kaffee in der warmen und geschmackvoll eingerichteten Gaststube war das Blogschreiben nicht schwer, auf meinem Tisch flackerte das Licht einer kleinen Kerze und im Hintergrund sang Eric Clapton seine schönsten Lieder. Ich war sehr zufrieden. Pünktlich um 19 Uhr kam meine vorbestellte Pasta mit Waldpilzen, ich ließ das Denken und Schreiben sein und konzentrierte mich auf eine der vornehmsten Pflichten der Herrscher dieses Planeten: die Nahrungsaufnahme.

   Als heute früh um 7 Uhr der Wecker klingelt, war ich gerade dabei, irgendwo auf den Bahamas die Luxusyacht einer langbeinigen Blonden zu betreten, die ernsthaft der Meinung war, sie könne ohne mich nicht leben. Blöder Handywecker, ich hätte schon gerne gewusst, wie sich das so entwickelt hätte. Als Entschädigung gibt es aber ein super Frühstück. Beim Blick aus dem Fenster im Frühstücksraum werde ich Zeuge, wie gerade die Sonne über dem gegenüberliegenden Berg auftaucht und Balduinstein, die Lahn und mich begrüßt. Der Tisch ist mit einem Überangebot eingedeckt. Mindestens drei Personen könnten damit einen besonders gelungenen Start in den Tag erwischen. Der Brötchenkorb quillt über, die Wurst- und Käseplattte ebenso, der Obstkorb reicht für mehrere Portionen Obstsalat, ein Ei wird nachgeschoben, der Kaffee dampft in einer großen Kanne, ein Tulpenstrauß und eine Kerze sorgen für eine heimelige Atmosphäre und, und, und...

   Gutgelaunt verlasse ich diesen netten Ort und mache mich draußen in der Sonne vor der Tür parat. Ich schnüre mir die Bauchtasche um, bringe schwungvoll den kleinen Rucksack in Position, hänge mir die Kameratasche um den Hals und schirre mich vor meinen Wheelie. Wir fünf werden noch wochenlang eine Einheit bilden.

   Über eine Brücke wechsel ich auf die andere Lahnseite hinüber und durchquere den kleinen Ort Balduinstein. Der Metzger und der Bäcker haben gerade erst aufgemacht, auf dem Dach eines kleinen Hotels legen Dachdecker neue Pfannen auf und grüßen mich freundlich, ansonsten ist noch nicht viel los. Die Ruhe und Langsamkeit in diesem Ort und zu dieser frühen Stunde haben mich wohl etwas eingelullt, denn jetzt mache ich einen Fehler. Ich gehe nicht die Straße hinauf in Richtung Schaumburg, sondern will es etwas netter haben und wähle für ein Stück den neuen Lahnweg. Die neue Auszeichnung dieses Weges, verbunden mit meiner doch schon etwas älteren Karte, hat unangenehme Folgen. Beim Einstieg in den Weg in der Dorfmitte sehe ich zwar ein paar Stufen vor mir, will mich aber dadurch nicht schrecken lassen. Aus den paar Stufen werden ungefähr hundert, alle mit einer recht ordentlichen Schritthöhe. Ich beginne zu pusten. Als die Treppen aufhören, beginnt ein steiler, enger Pfad. Der reichlich genossene Frühstückskaffee schießt mir aus den Poren und verdampft in freier Natur. Das Laub ist noch nass vom nächtlichen Regen und der Pfad darunter glitschig. Am Himmel segeln weiße Wolkenschiffe und scheinen Freude an mir zu haben, genauso wie die Sonne, die mir so richtig einheizt. Und irgendwann musste es kommen: Ich rutsche aus, werde von meinem Wheelie noch zusätzlich meiner Standsicherheit beraubt und schlage voll mit dem Gesicht, genauer mit meinem Mund, auf den Weg. Man könnte jetzt fragen, wo meine Hände denn zu diesem Zeitpunkt zum Abstützen sind, aber die bemühen sich gerade, mein Pilgermoped den Berg hochzuziehen. Jedenfalls schmeckt das Laub schwer nach Torf und ich warte einen Moment, ob sich der Geschmack von Blut dazugesellt. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Das einzige, was bleibt, ist eine ordentlich dreckige Hose. Laufe ich also heute mal als Schwein durch die Gegend.

   Nur, diese Gegend wird mir jetzt erstmal etwas merkwürdig. Auch wenn es bald nicht mehr so steil ist, es ist die falsche Richtung! Ich entscheide, meinem Orientierungssinn zu vertrauen, gehe vom Weg ab, überquere nach links einen Acker - und komme nach wenigen Minuten auf einen breiten Feldweg, den ich auch ziemlich schnell auf meiner Karte wiederfinde. Die Sonne steht jetzt wieder richtig, die Schaumburg auch, bald tauchen auch die richtigen Zeichen auf, u.a. das X vom E1, also alles gut.

   Denke ich! Zunächst mal ständig bergauf setzt sich der E1 nach Süden fort. Und das nicht auf einem angenehmen Waldweg, sondern man müsste eigentlich “Acker“ dazu sagen. Das Geläuf ist tief und weich, rutschig und matschig. Verursacher: Pferde und Waldmaschinen. Durch den warmen Winter haben die Maschinen bei ihrer Holzarbeit keinen gefrorenen Boden nutzen können. Und gearbeitet wurde in den Wäldern reichlich und das muss wohl auch sein und das kann ich auch einsehen. Aber muss es auch sein, dass der E1 für eine lange Strecke auch als offizieller Reitweg markiert ist? Ich mag Pferde, meine Familie hatte selbst mal zwei, aber ich weiß auch, was Pferde aus einem Waldweg machen, nämlich einen Weg, der für Wanderer dann ganz und gar nicht mehr geeignet ist. Reitwege durch den Wald - ja, auf dem E1 mit Sicherheit nicht!

   Wieviel einfacher ist es da doch, als ich beim Hof Habenscheid, dem Rest eines ehemaligen kleinen Ortes, aus dem Wald trete und mal zügig voranschreiten kann. An den Ruinen des ehemaligen Klarissenklosters Bärbach vorbei geht es bis Schönborn angenehm weiter. Dann mache ich wohl meinen zweiten Fehler des Tages. Gegenüber der Markierung auf meiner Karte, wurde der E1 offensichtlich für ein Teilstück verlegt. Ich befürchte, dass diese Verlegung einen gewissen Umweg bedeutet und entscheide, den alten Wegverlauf zu nehmen. Ja herzlichen Glückwunsch! Der Weg entwickelt sich wieder zu einem Acker, aber diesmal zusätzlich mit einigen Geländehindernissen. Abgesägte Bäume und Büsche liegen wiederholt quer über dem Weg und ich quäle mir einen Wolf, da drunter her oder drüber zu kommen. Bei solchen Aktionen schwitzt man kein Rosenwasser. Irgendwann kann ich nur über mich selbst lachen, und komischerweise geht es damit gleich viel einfacher.

   Als ich dann keine Wut mehr und wieder einen Blick für meine Umgebung habe, werde ich auch prompt belohnt: Ein Fuchs kreuzt meinen Weg, vielleicht zwanzig Meter vor mir, aufreizend langsam, guckt mich keck an, beschleunigt ein bisschen, und geht dann cool seinen Geschäften nach. Der geht jetzt wohl rüber nach Schönborn, Gänse stehlen oder Bandwürmer aussetzen.

   Ab meiner heutigen ersten und einzigen Rast habe ich keine Karte mehr zur Verfügung. Das ist zwar ungewöhnlich für mich, aber erstens war ich zu geizig, um mir für ein paar wenige Kilometer eine neue Karte zu kaufen (ab kurz vor Idstein morgen habe ich wieder eine), und zweitens traue ich mir die Navigation per Handy mittlerweile zu. Man ist ja lernfähig, selbst noch in meinem Alter.

   Genau so ist es dann auch. Ich vertraue der inzwischen wiedergefundenen E1-Markierung an den Bäumen und kontrolliere ab und zu mit dem Handy, ob ich mich in die richtige Richtung, nämlich auf Aarbergen-Michelbach zubewege, meinem heutigen Ziel.

   Schneller als nach all der Plackerei heute erwartet, bin ich erneut am frühen Nachmittag in meiner Unterkunft, dem Gästehaus “Villa an der Aar“. Als mir die Gastgeberin die Tür öffnet, bin ich im ersten Moment etwas erschrocken. Vor mir steht eine Frau im mittleren Alter, mit stark dunkel geschminkten Augen und einem schwarzen Seidenumhang um den Hals geschnürt, der bis über ihre Knie reicht. Sie bemerkt wohl meinen leicht verblüfften Blick und sagt: “Entschuldigen Sie mein Outfit! Ich habe meine Friseuse da.“ Das erklärt natürlich alles.

Zur Karte: https://docs.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmUTdBeDd5STdjM0E/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Dienstag, 25 März 2014 08:57)

    Einer muss mich ja im Hinblick auf Bruchlandungen gebührend vertreten... und was soll ich sagen, wenn man den Wegmarkierungen nicht glauben will. Wer nicht hören will... Der Fuchs wäre Sira ja auch wieder eine helle Freude gewesen... Und es geschehen noch Zeichen und Wunder: DU beherrschst das Navi????!?!?!

  • #2

    Der Kronprinz (Mittwoch, 02 April 2014 08:54)

    Ich hoffe, du hast trotz des Hindernislaufs deinen Wheelie noch lieb...


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