Knackiger Einstieg in den Westweg

Bretten - Pforzheim/Weißenstein (24 km)

   Im “Hirsch“ ist noch alles still, als ich mich zum Frühstück aufmache. Nur das Zimmermädchen ist schon auf dem Flur und staubt dort Bilder ab. Sie flüstert mir ein “Guten Morgen“ zu und lächelt schüchtern. Im Gastraum ist kein Mensch und nur für mich ist gedeckt, allerdings alles zu meiner vollsten Zufriedenheit. Kein Wirt, keine Bedienung - warum auch? Alles steht auf dem Tisch und ich kann zugreifen. Jetzt erschließt sich mir aber auch, warum der Wirt schon gestern Nachmittag das Geld für die Übernachtung kassiert hat. Vor dem Abendessen-Geschäft war da gerade etwas Ruhe, während des Abendessens wäre es vielleicht zu stressig gewesen und heute Morgen will er ein wenig länger schlafen. Recht so!

   Als ich mit dem Wheelie eine halbe Stunde später so leise wie möglich die Treppe herunterpoltere, steht wieder das Zimmermädchen bereit und nimmt mir den Zimmerschlüssel ab. Weiterhin herrscht gespenstische Ruhe im Haus und es ist 8.15 Uhr. In der Melanchthonstraße, der Fußgängerzone von Bretten, ist da schon mehr los. Eingekauft wird zu dieser Uhrzeit noch kaum, aber einige Lieferwagen stehen vor Geschäften und bringen frische Ware. Kinder kommen mir mit ihren Ranzen entgegen und streben der Schule zu. Wahrscheinlich beginnt ihr Unterricht erst zur zweiten Stunde. Einige Mütter haben ihre Kleinkinder an der Hand, die etwas müde und mürrisch dreinblicken. Vielleicht werden sie gerade zum Kindergarten gebracht und würden viel lieber noch etwas schlafen.

   Durch die bessere Wohngegend bin ich gestern nach Bretten einmarschiert, durch das laute Viertel mit seinen Ausfallstraßen und dem Gewerbegebiet verlasse ich den Ort. Wieder störe ich mich nicht am E1, der einen aberwitzigen Bogen schlägt und mich mindestens eine Stunde länger nach Pforzheim unterwegs sein lassen würde. So was kann ich ja gar nicht haben. Die Karte verspricht eine gute Alternative und ich tippel munter dahin.

   Wieder zeigt das Wetter sich von seiner besten Seite, obwohl es im Schatten oder im Wald noch ganz schön frisch ist. Aber DAS ist mein Wetter, warm wird mir durch das Laufen noch schnell genug.

   Heute ist mein letzter Tag im Kraichgau, der mir in sehr angenehmer Erinnerung bleiben wird. Nach dem manchmal doch ein wenig anstrengenden Odenwald, war er so etwas wie eine Erholungsphase, einfach zu gehen, aber für die Augen vieles zu entdecken und genießen. Ab morgen erwartet mich der Schwarzwald und der wird mir wieder einiges abverlangen.

   Als mich hinter Bretten wieder hauptsächlich Grün und Rapsduft umgibt, führt mich ein breiter, sachte ansteigender Weg zunächst an einem kleinen Tiergarten, dann an einer Saatschule vorbei. Was, bitteschön, ist eine “Saatschule“? Ich nehme mir nicht die Zeit, da mal näher nachzuforschen, denn der Weg ist heute noch lang. Er wird jetzt auch steiler und von gefühlter Frische kann bei mir bald keine Rede mehr sein. Als ich die Anhöhe “erklommen“ habe und gleichzeitig aus dem Wald heraustrete, sehe ich ganz weit hinten die ersten Höhenzüge des Schwarzwaldes vor mir auftauchen. Da die Forstbetriebsgesellschaft Pforzheim genau an dieser Stelle eine Ruhebank aufgestellt hat, schnalle ich mein Wheelie ab, mache es mir auf ihr bequem und fahre meine Betriebstemperatur wieder auf Normal.

   Ich strecke mich aus, werfe meinen Kopf etwas in den Nacken und blinzel in die Sonne. Sie hat es in den letzten zwei Wochen sehr gut mit mir gemeint, fast schon beängstigend gut. Auf dem Jakobsweg hatten Annika und ich auch viele Sonnenstunden, aber diese Temperaturen schon zu dieser Zeit über einen solch langen Zeitraum sind schon ein wenig ungewöhnlich. Aber ich will mich nicht beschweren.

   Während ich so in die Sonne blinzel, höre ich Hufgeklapper von rechts. Eine junge Reiterin kommt mit ihrem Braunen um die Ecke und will an meinem Rastplatz vorbei. Damit bekommt sie aber ein gehöriges Problem, denn jetzt geschieht etwas, was ich schon in den letzten Tagen wiederholt beobachten konnte. Das Pferd beginnt zu tänzeln, schnaubt durch die Nüstern, verdreht den Rücken und schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. Nein, nicht mich schaut es an, sondern meinen Wheelie. Der neongelbe Regenüberzug, den ich permanent meinem treuen Begleiter übergezogen lasse, bringt diese großen Tiere immer wieder kurzfristig in Panik. Alle Reiterinnen und Reiter müssen beständig ihr ganzes Können aufbieten und beruhigend auf sie einsprechen, um die Pferde an mir vorbeizulotsen.

   Nach dieser Rast geht es ziemlich schnell. Streng nach Süden verläuft der Weg mit nur wenigen Schlenkern Richtung Pforzheim. Die A8 Karlsruhe - Stuttgart/München überquere ich auf einer hohen Brücke und bin unmittelbar danach auf Pforzheimer Stadtgebiet. Noch ein kleiner Buckel und die berühmte Schmuckstadt, die sich selbst “Goldstadt“ nennt, liegt unten im Tal der Enz breitgestreckt vor mir und auf der anderen Seite erhebt sich der Schwarzwald. Naaa ja, da kommt was auf mich zu!

   Über eine Stunde lang wird jetzt die Stadt durchquert. Gut, dass ich das nur von Norden nach Süden tun muss, von Osten nach Westen würde es bestimmt dreimal so lange dauern. Zuerst steuere ich den Hauptbahnhof an, von dort ist mein Weg wieder genau markiert. Nicht als E1, sondern als Westweg mit der roten Raute. Von nun an läuft der E1 zwar bis zum Feldberg mit dem Westweg parallel, kommt aber als Markierung mit dem weißen Andreaskreuz nicht mehr vor. Hier hat sich wohl der mächtige Schwarzwaldverein durchgesetzt und die “älteren Rechte“ des Westweges durchgeboxt.

   Im relativ neu “durchgestylten“ Zentrum  ist die Markierung ohne Fehl und Tadel. Zusätzlich zu der Raute trifft der zukünftige Westweg-Wanderer, der möglicherweise mit dem Zug angereist ist, klare Hinweise auf “Kupferhammer / Wanderwege“. Beim “Kupferhammer“ mündet die Würm in die Nagold, die ihrerseits wieder ihr Wasser fast im Stadtzentrum von Pforzheim in die Enz einbringt. Der Name Kupferhammer stammt von einem Hammerwerk, das im 17. Jh. Erze verarbeitete. Heute steht hier die gleichnamige Gaststätte. Und an dieser Gaststätte beginnen die drei großen Schwarzwaldhöhenwege des Schwarzwaldvereins: der Westweg nach Basel, der Mittelweg nach Waldshut und der Ostweg nach Schaffhausen.

   Als ich sehe, wie unmittelbar hinter dem “Goldenen Portal“, dem offiziellen Einstieg in den Westweg, die rote Raute auf einen steilen, mit hohen Sandsteinstufen und anschließendem “Stock-und-Stein-Pfad“ verweist, möchte ich mir am liebsten jetzt erstmal in der Start-Gaststätte Mut ansaufen. So hatte ich das gar nicht mehr in Erinnerung, obwohl ich ja vor etwa 35 Jahren schon einmal hier den Westweg im Rahmen meiner E1-Wanderung begonnen habe. Außerdem war ich damals ja auch eben diese 34 Jahre jünger und zog kein Wheelie hinter mir her...

   Aber los, bringt ja sowieso nichts! Wat mutt dat mutt! Ich höre den Westweg förmlich laut schallend lachen, als ich seinen ersten Kilometer hochaste. Ich stöhne, mein Wheelie stöhnt und ächzt, ich wuchte ihn immer wieder über hohe Steine, kann aus lauter Galgenhumor mir öfter nicht das Lachen verkneifen, ohne das Fluchen ganz aus dem Spiel zu lassen. Der Westweg will mich einnorden, will mir zeigen, dass jetzt die Spielereien der letzten Tage ein Ende haben und wieder Leistung von mir verlangt wird.      Kurz lässt er mich nochmal aus seinen Klauen, als ich von ihm abzweigen muss, um nach Weißenstein hinunterzukommen, wo sich in der Burgruine Rabeneck die Jugendherberge von Pforzheim befindet. Aber morgen, morgen hat er mich wieder!

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmUG1NaDMzYW9EUEE/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Dienstag, 08 April 2014 12:16)

    Pferde sind eben Weicheier. Kann ja nicht jeder so stahlhart und mutig sein wie mein Pilgerhund. Die war ja nicht wirklich beeindruckt von deinem Wheely...

  • #2

    Der Kronprinz (Mittwoch, 09 April 2014 09:34)

    Arschbacken zusammen kneifen!!!


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