Gemütlich - damals wie heute

Harkhof - Hausach (16 km)

   “Können Sie morgen früh ein wenig später zum Frühstück kommen? Sonntags hat unser Bäcker die Brötchen erst immer etwas später fertig“, so Frau Kempf schon gestern Abend. Normal wäre Frühstück ab 8 Uhr, aber 8.10 Uhr wäre dann besser. Also darauf kommt es mir nun wirklich nicht an. Als ich um 8 Uhr im Gastraum eintrudel, stehen trotzdem schon die Brötchen auf dem Tisch.

   Eine Dreiviertelstunde danach steht auch der Bruder wieder am Auto parat und kutschiert mich hoch zum Harkhof. Auf meine Frage hin berichtet er mir, dass der Harkhof tatsächlich noch ein gut funktionierender Familienbetrieb sei, wo alle noch irgendwie eingespannt sind. Eigene Schlachtung und Verwertung, Brot und Backwaren aus dem eigenen Backofen, der Obstler wird von Früchten der eigenen Streuobstwiesen noch selbst gebrannt - alles wie in alten Zeiten. Sein Hof selbst, der Kempfhof, sei eigentlich nur noch ein Nebenerwerbsbetrieb, sein Hobby. Immer noch fiele genug Arbeit an, aber das mache ihm eben als Ausgleich zu seinem Beruf Spaß. Im Stall stehen jetzt noch ein Bulle und 10 Mutterkühe, fünf davon hätten ihre Kälber schon bekommen, bei den anderen warten sie noch drauf.

   Nach einer kurvenreichen Fahrt sind wir in 10 Minuten oben am Harkhof und Herr Kempf drückt mir zum Abschied herzhaft die Hand. “Gutes Gelingen und bleiben Sie gesund!“ Er lächelt verschmitzt, dreht seinen Wagen auf dem kleinen Parkplatz vor dem Harkhof und fährt wieder den Berg herunter. Oben im Gastraum sitzen die Übernachtungsgäste noch beim Frühstück. Ich lasse mir den Schlüssel für den Schuppen geben und die Bäuerin sagt mir, ich könne ihn ruhig stecken lassen, wenn ich ginge. Als ich die Tür aufschließe und meinen Wheelie in der Ecke stehen sehe, ist mir, als wenn er mich anschreit: “Wo warst du so lange? Das ist ja wohl das letzte, mich hier so lange bei diesen stinkenden Autoreifen stehenzulassen.“ Ich hätte hier auch nicht die Nacht verbringen wollen, da bin ich ganz ehrlich.

   Ich bin gerade dabei, den Wheelie wieder richtig zu bepacken und ihn mir um den Bauch zu binden, als die beiden alten Herrschaften aus dem Haus kommen. Man sieht ihnen die vielen arbeitsreichen Jahre auf ihrem Hof wohl an, aber sie sehen gesund und... , ja, auch irgendwie würdevoll aus. Beide tragen ihre besten Sonntagskleider und die Großmutter, wahrscheinlich auch Urgroßmutter, hält einen kleinen Strauß Buchsbaumgrün in der Hand. Beide fahren jetzt mit dem Wagen hinunter ins Tal zum Palmsonntagsgottesdienst. Großvater fährt noch selbst.

   Vom Harkhof geht es jetzt tendentiell immer abwärts ins Kinzigtal, das einzige Schwarzwaldtal, das dieses Mittelgebirge durchgehend von Ost nach West durchschneidet. “Tendentiell abwärts“ heißt aber nicht “immer abwärts“. Ich staune auf dem Weg nicht selten, wie oft es immer wieder auch ein Stück bergauf geht, auf “Zwischengipfel“, so nennt das mein Wanderführer.

   Immer noch ist es, wie bereits gestern, eine ausgesprochene Waldetappe, richtig durch dunklen Wald. Ich kann mir vorstellen, dass man bei schlechtem, regnerischem Wetter hier das Gefühl hat, durch einen Tunnel zu laufen. Heute zaubern oft schräg einfallende Sonnenstrahlen eine nahezu mystische Atmosphäre in den Wald. Öfter als in den letzten Tagen gehe ich nicht die breiten Forstwege, sondern mehr die typischen Pfade, eng, steinig, Baumwurzeln, übersät mit Tannenzapfen.

   Bis weit in den Nachmittag lasse ich meine Fleecejacke an. Die Kraft der Sonne, die wiedermal (wie lange eigentlich schon?) von einem blauen Himmel scheint, erreicht mich kaum. Im Schatten ist es kühl und selbst diese netten “Zwischengipfel“ vermögen nicht, mich ans Kochen zu bringen.

   Je mehr ich mich der Hohenlochenhütte nähere, umso mehr erinnere ich mich an sie. Bei meiner ersten Westweg-Wanderung hatten Freund Holger und ich vom Wetter her einen sauschlechten Tag erwischt. Obwohl wir im Sommer unterwegs waren, war es kalt und es regnete in Strömen. Wie eine glückliche Fügung war es, als wir an der Hohenlochenhütte vorbeikamen. Ein netter Herr vom Schwarzwaldverein Wolfach, der an diesem Tag hier seinen Hüttendienst versah, bat uns hereinzukommen. “Wärmt euch erstmal etwas auf, nach Hausach kommt ihr immer noch. Wollt ihr einen heißen Kaffee?“ In der Stube der kleinen Hütte brannte ein wohliges Herdfeuer und es war urgemütlich. Die Scheiben waren beschlagen und beschlugen immer mehr, weil wir unsere nassen Jacken über dem Ofen zum Trocknen hängen hatten. Aus einer Tasse Kaffee wurden drei, aufgelockert durch den ein oder anderen Obstler. Erst eineinhalb Stunden später verließen wir die Hütte wieder, gewärmt und trocken. Zehn Minuten später waren wir wieder durch nass.

   Ich erkenne sie sofort wieder. Klein wie ein Hexenhäuschen steht sie unmittelbar am Rand des Weges auf einem großen Felsen mit weitem Blick ins Tal. Auf dem kleinen Fleckchen neben der Hütte, das von der Sonne beschienen wird, steht eine Bank, auf der ein älteres Ehepaar sich ausruht. Wieder steht ein Mann an der Tür und bittet mich, sich doch hier ein wenig auszuruhen. Seine Frau kommt dazu und lädt mich zum Kaffee ein. “Möchten Sie auch ein Stück Hefekuchen? Ich habe ihn selbst gebacken.“ Das Wanderehepaar wird ebenfalls auf mich aufmerksam und es entwickelt sich ein munterer Plausch vor der Hütte. Wieder bleibt es nicht bei einer Tasse Kaffee, nur die Obstlerflasche kommt diesmal nicht auf den Tisch. Ich hätte auch mit Sicherheit keinen Schluck davon getrunken... oder?  

   Bevor ich mich wieder auf den Weg mache, werfe ich nochmal einen Blick in die kleine Stube. Sie ist noch genauso, wie sie damals war. Ich sehe Holger und mich wieder dort sitzen, das Feuer im Ofen brennt auch heute und wärmt die große Kanne mit Kaffee, die schon auf die nächsten Wanderer wartet. Nur an Wochenenden ist die Hütte hier bewirtschaftet. “Wir machen gerne Dienst hier oben, treffen so viele nette Menschen, mit denen wir uns unterhalten und von denen wir viel erfahren. Das ist doch allemal besser, als zu Hause rumzusitzen und sich zu langweilen“, sagt das Hüttenwart-Ehepaar einvernehmlich. Am liebsten hätte ich oben auf dem kleinen Speicher geschlafen, aber erstens sind die beiden Betten dort oben im Bedarfsfall nur für die Diensthabenden vorgesehen und zweitens wartet mein Bett in Hausach. “Bis nach Hausach sind es nur noch eineinhalb Stunden, das geht jetzt schnell“, meint Frau Hüttenwartin, als ich mich verabschiede.

   Jetzt kann man so nach Hausach gehen oder so. Man kann den kürzesten Weg nehmen oder den Westweg. Frau Hüttenwartin meinte wohl den kürzesten Weg, ich gehe den Westweg. Der Westweg hat wieder mehrere “Zwischengipfel“, die durch enge, steinige Pfade miteinander verbunden sind.

   Unterwegs treffe ich auf eine Wandergruppe. Eine Frau aus der Gruppe, die den Eindruck macht, als wäre sie die Führerin, spricht mich energisch an: “Na hören Sie mal, Sie sind doch wohl länger unterwegs! Sie habe ich doch schon mal irgendwo gesehen. Und das ist schon ein paar Tage her!“ Sie sieht meinen fragenden Blick und denkt verschärft nach. “Habe ich Sie nicht vielleicht in Bretten gesehen mit Ihrem Wägelchen?“ Bretten stimmt, Wägelchen stimmt, vielleicht hat sie mich ja dort wirklich gesehen. Immerhin ist das jetzt schon über eine Woche her. “Einen schönen Weg weiterhin, vielleicht sehen wir uns ja nochmal“, lacht sie, winkt und zieht mit ihrem Trüppchen weiter.

   Am Spitzfelsen, einem Aussichtspunkt in exponierter Lage auf einer Bergkuppe zwischen Wolfach und Hausach, raste ich ein letztes Mal. Ein mächtiges Holzkreuz markiert diesen Punkt und eine kleine Holzhütte direkt unter ihm gibt Obdach, wenn das Wetter sich mal nicht von seiner guten Seite zeigt. Ich will mich gerade an meiner zweiten Trinkwasserflasche bedienen, als ich zu meinem Ärger feststellen muss, dass ich sie nach dem Füllen im Badezimmer des Kempfenhofes vergessen habe. Ärgerlich, aber kein Beinbruch. Etwas Schwund ist immer!

   Um kurz nach 15 Uhr bin ich in Hausach im “Gasthaus zur Eiche“, mindestens eine Stunde später als ich dachte. Wahrscheinlich wegen der “Zwischengipfel“!

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmbDQzYkdWMG5pQWc/

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Die Pilgertochter (Montag, 14 April 2014 15:51)

    Oh nein, die gute Trinkflasche! Aber doch wohl hoffentlich nur die Ersatzpulle und nicht die gute Miniatur-0,330l-Hartplastik-Pfand-Flasche, die schon dein treuester und seltenst genutzter Begleitgegenstand auf dem Jakobsweg war? Das wäre ja eine Schande!

  • #2

    Der Kronprinz (Dienstag, 15 April 2014 18:10)

    Du redest schon mit deinem Wheelie?!?!


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