Unnötiger Umweg

Altopascio - San Miniato Basso (26 km)

   Der Plan für den gestrigen Abend ist absolut aufgegangen. Ich hatte Nudeln, Weißwein, Bier und viiiiiel Eis, nur wesentlich kühlere Temperaturen gab es draußen nicht. Aber man kann nicht alles haben. Eine angenehme Nacht hätte ich jedoch schon ganz gerne gehabt - war aber nicht. Im Zimmer war es unerträglich heiß. Maria wollte weder die Fenster noch die Tür öffnen, da sie die Mücken fürchtete, wie der Teufel das Weihwasser. Irgendwann hat sie in der Nacht dann aber doch wohl einen nur möglichen Mückenangriff dem sicheren Erstickungstod vorgezogen und das Fenster aufgemacht. Die Mücken waren freundlich und haben uns in Ruhe gelassen. So habe ich doch noch ein paar Stunden geschlafen.

   Um 5 Uhr ist die Nacht aber auch schon wieder um. Als ich zaghaft ein Auge öffne, wirft sich Maria gerade ihren Rucksack auf den Rücken und verlässt auf Zehenspitzen das Zimmer. Verabredet haben wir keinen Treffpunkt, aber ich bin sicher, sie irgendwo wieder aufzugabeln. Die anderen älteren Pilger sind auch schon dabei sich fertigzumachen, junge Leute, die gestern erst am frühen Abend eingetroffen waren, schlafen noch. Wahrscheinlich fürchten sie die zu erwartende Hitze nicht so wie die älteren Semester. Als ich mich nach meinem Schmalspur-Frühstück ebenfalls auf den Weg mache, schlafen sie immer noch.

   Eine Stunde verbringe ich wieder entlang der Landstraße, dann entwickelt sich die Strecke schön und kurzweilig. Nach rechts zweigt nun ein original-historischer Abschnitt der Via Francigena ab. Etwa drei Meter breit, noch mit seiner mittelalterlichen Pflasterung, zieht er etwa einen Kilometer dahin. Ähnlich wie bei dem kurzen Abschnitt auf der alten Römerstraße am Ausgang des Aostatales, bekomme ich auch hier eine leichte Gänsehaut, als ich auf dieser uralten Pflasterung meinen Wheelie hinter mir herschiebe und mir bewusst wird, wie viele Pilger, Händler und Soldaten seit hunderten von Jahren diesen Weg, genau diesen, schon beschritten haben. Was jetzt unter dem Begriff "Via Francigena" fungiert, ist zum weitaus größten Teil natürlich nicht mehr der Originalweg. Straßen oder Autobahnen haben seinen Platz eingenommen und der jetzige Weg verläuft nur noch nahe der Originalroute. Asphalt wird soweit wie möglich vermieden, schöne Ausblicke möchte man dem Pilger gönnen, landschaftlich besonders reizvolle Abschnitte sollen in den Routenverlauf eingebunden werden, kleine Orte genauso wie größere Städte möchten an der Via Francigena liegen, denn Pilger bringen Einnahmen in Beherbergungsbetrieben, Restaurants und Bars.

   In Ponte a Cappiano sitzt Maria hinter einer alten Kanalbrücke vor der Bar und bindet sich gerade wieder die Schuhe zu. Die wieder rapide ansteigenden Temperaturen treiben sie und nachdem sie jetzt eine Viertelstunde hier gesessen und eine Rast gemacht hat, möchte sie weiter. Mein Körper verlangt eine Pause, die ich ihm gerne bewillige. So weiß Maria aber, dass ich kurz hinter ihr bin, und geht beruhigt weiter. Unsere gemeinsamen Tage werden morgen sowieso vorbei sein, da sie auf dem Weg weitergeht und ich mir zwei Tage "Kultururlaub" in Pisa und Florenz gönnen möchte. Inzwischen haben wir jedoch mehrere andere Pilger kennengelernt, denen sie sich bei Bedarf anschließen kann. Ich kaufe mir in der Bar ein Schinkenbrot und einen Kaffee, setze mich damit in einen der drei Plastikstühle am Straßenrand, lasse Luft an meine Füße und verschnaufe.

   Hat der erste Teil des Morgens dem Pilger noch viel wohlmeinenden Schatten beschert, wird es ab jetzt wieder härter. Für Kilometer geht es nun erneut auf einem schmalen Pfad auf der Dammkrone des Uscianakanals und anschließend auf staubigen Schotterwegen im Zickzack durch die Felder. Während ich nicht so schnell gehe, um ja nicht zu viel Schweiß und Staub aufzuwirbeln, schließt Manuel zu mir auf, ein junger Schweizer, der von Zürich aus unterwegs ist und mit uns in der "Hitzeherberge" von Altopascio übernachtet hat. Seine Mutter ist gebürtige Italienerin und er möchte seine Italienisch-Kenntnisse aufbessern, die zu Hause immer mehr im Schwyzerdütsch versickern. Außerdem treibt ihn die Abenteuerlust und das Bedürfnis, andere Menschen kennenzulernen. Gemeinsam überqueren wir den breiten Fluss Arno, gehen gemeinsam einen guten Schritt - und schwitzen gemeinsam.

   In Fucecchio gehen wir hinauf zur Abtei San Salvatore, haben von dort oben einen wunderbaren Blick auf die Dächer der kleinen Stadt und können zurückblicken auf viele Kilometer, die wir heute schon zurückgelegt haben, jeder für sich oder beide gemeinsam. Bei der Kirche treffen wir die Radpilger Dominic und Ann, ein Ehepaar aus Australien. Wir kommen ins Gespräch und stellen dabei fest, dass sie auch in San Miniato Basso übernachten wollen. Wir sind sicher, uns dort wieder über den Weg zu laufen.

   Nach Fucecchio zieht sich der Weg bis San Miniato Basso anscheinend endlos. Maria taucht vor uns auf, sichtlich langsamer als am Morgen. Zu dritt gehen wir weiter auf den letzten Kilometern. Und diese werden länger und länger. Nochmal brauchen wir alle Drei eine Pause. Glücklicherweise kommt eine kleine, schabbelige Bar im richtigen Moment. Wir alle fühlen uns regelrecht ausgetrocknet und wundern uns, dass der Weg kein Ende nehmen will, obwohl der Turm von San Miniato Alto auf dem Hügel vor uns schon lange zu sehen ist.

   Während der Rast und dem Studium unserer verschiedenen Wanderführer finden wir irgendwann des Rätsels Lösung. Es gibt nicht nur Marias und meinen Wanderführer, die manchmal unterschiedliche Streckenführungen ausweisen. Es gibt noch die Wanderkarte "Via Francigena" für die Toskana, die ich mir in Lucca zusätzlich gekauft habe und die in einigen Bereichen mit keinem unserer beiden Wanderführer übereinstimmt, sowie eine kleine Broschüre, die sich seit ein paar Tagen in Marias Besitz befindet und den neuesten Wegverlauf darstellen soll. Und diese Broschüre zeigt uns jetzt einen großen Umweg, der eigentlich nur den Zweck verfolgt, den Pilger von jedweder Straße fernzuhalten. Grundsätzlich gut gemeint, wenn aber dabei am Schluss eines Wandertages ein fast drei Kilometer langer Umweg bei herauskommt, halte ich das für übertrieben.

   So kennen wir nun das Übel, wissen, dass wir nichts daran ändern können, trinken unser erfrischend kaltes Wasser direkt aus den Flaschen, weil die Gläser hygenisch bedenklich aussehen, und trotten dann weiter. Tatsächlich kommen wir irgendwann auch in der Herberge an, obwohl sich der Weg im Ort wieder in die Länge zieht. Es ist erst gute Mittagszeit, aber wie haben alle das Gefühl, heute viel geleistet zu haben. Bekannte Gesichter aus der Herberge in Altopascio trudeln nach uns ein, Pius und Brigit aus der Schweiz, Dario, David und Sara aus Mailand, Jean aus dem Elsass, ebenfalls mit heraushängender Zunge und sauer wegen der Zusatzkilometer. Das kleine Sechsbettzimmer ist bald voll, einige müssen in einem kleinen Wohnwagen übernachten, bei dieser Hitze ein besonderes Saunaerlebnis.

   Alle brauchen wir Zeit, um uns zu erholen, die meisten liegen nach der großen Duschorgie auf ihren Betten, dösen vor sich hin, schlafen oder tauschen Erlebnisse und Erfahrungen aus. Erst am frühen Abend ziehen alle ins nächste Restaurant. Pasta, Pizza, Insalata - und Bier, Bier, Bier. Der Flüssigkeitshaushalt des Körpers muss wieder ausgeglichen werden.

 

Zur Karte: https://drive.google.com/file/d/0B-YJDxFXEbWmVDE1OHhjaDBMQTQ/

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Dienstag, 24 Juni 2014 17:30)

    Ich muss nochmal fragen: wo ist der gute alte Kartoffelpü aus der tüte geblieben?


Translation: