Unter Touristen (II)

Florenz

   Heute ist mein nächster "Touristentag". Ich stehe mit meinen drei Zimmergenossen früh auf und bin kurz nach ihrem Abmarsch auch wieder unterwegs. Während sie am Anfang ihrer nächsten Etappe einen kurzen Anstieg hinauf nach San Miniato Alto vor sich haben, strebe ich wieder dem Bahnhof entgegen. Drei Minuten komme ich zu spät, der Zug Richtung Florenz ist gerade weg. Warte ich eben eine halbe Stunde, auch nicht schlimm. Eine kurze Zeit lang bin ich alleine auf dem Bahnhof, dann kommen die Menschen wieder. Viele kenne ich von gestern, sie fahren eben immer zur gleichen Zeit zur Arbeit. Im Zug geht es dann zu wie bei uns zu Hause auf der Strecke nach Köln. Einige richten sich sofort auf den zweiten Schlaf ein, andere spielen mit ihren Handys, lesen die Zeitung, unterhalten sich. Sechs Stationen sind es bis Florenz, nach 40 Minuten bin ich da.

   Dann läuft es ähnlich ab wie in Pisa. Eine Stunde etwa bleibt der Touristenrummel überschaubar. Ich bummel vom Bahnhof zur direkt gegenüberliegenden Kirche Santa Maria Novella, möchte einen Blick reinwerfen, aber das Portal ist noch zu. Geöffnet wird erst um 9 Uhr. Gut, gehe ich eben weiter. Über den Kirchplatz hinweg sehe ich den hohen Glockenturm des Doms, also schlage ich diese Richtung ein. Es dauert nur wenige Minuten, dann bin ich da. Der Dom ist in seinem hinteren Teil eingerüstet, hinter dem Campanile ragt stimmungsvoll ein Baukran in die Höhe und das große Baptisterium in der Mitte des Domvorplatzes ist wie ein großes Geschenkpaket in buntes Plastik eingepackt. Notwendige Renovierungsarbeiten sind offensichtlich und unüberhörbar in vollem Gange. Was ich allerdings vom Dom und seinem Glockenturm erkennen kann, ist zweifellos prachtvoll. Für den Dom selbst wird kein Eintritt verlangt, dafür öffnet er aber erst um 10 Uhr. Gut, gehe ich eben weiter.

   Das Palazzo Medici Riccardi beeindruckt mit einer dunklen Renaissancefassade mitten zwischen anderen Häusern, in der großen Kirche San Lorenzo findet gerade eine Messe statt, also für den Touristen geschlossen. Gut, gehe ich eben weiter. Als ich nochmal am Dom vorbeikomme, um Richtung Uffizien zu gehen, hat sich halb Japan dort versammelt. Die Kameras laufen heiß, die Fremdenführer haben ihre liebe Not, ihre Schäfchen beieinanderzuhalten und ihre schon hundertfach vorgetragenen Erläuterungen abzugeben. Sie haben in dem Moment verloren, als drei Pferdekutschen auf den Platz einbiegen und zum Halten kommen. Als die Kutscher dann auch noch absteigen und aus großen Säcken ihren Pferden Heu vor die Hufe werfen, ist alles vorbei. Es gibt ein Drängeln und Schubsen um den besten Fotostandort und der Fremdenführer steht relativ sprachlos, aber tapfer lächelnd alleine da. Dies sind die Momente, die ich liebe zu beobachten. Nachdem die erste Aufregung sich gelegt und der größere Teil der Japaner sich wieder um seinen Führer geschart hat, gehe ich weiter zum Palazzo Vecchio und den Uffizien.

   Auf der dem Palazzo Vecchio vorgelagerten Piazza della Signoria und im Zugangsbereich dieses ehemals wichtigsten bürgerlichen Gebäudes der Stadt Florenz steht eine Ansammlung von Statuen stattlicher männlicher Nackedeis, und es ist schon auffällig, wie sich gerade die Damen unter den Touristen mit verklärten Blicken vor diesen Jungs fotografieren lassen. Gerade (Sorry, meine lieben Freunde Nippons, aber es ist nun mal so!) die jungen Japanerinnen krümmen sich dabei vor lauter Gekicher, so dass sie noch kleiner wirken, als sie sowieso schon sind.

   Direkt neben dem Palazzo Vecchio liegt die Galerie der Uffizien, eine der bedeutendsten Gemäldegalerien Italiens und der Welt. Natürlich werde ich meinen Kurztripp nach Florenz nicht dazu nutzen, um durch die Uffizien zu jagen. Das hieße wohl, Perlen vor die Säue zu werfen. Ich schaue mir aber mit einem Schmunzeln und auch mit einem Schuss Mitleid die Schlange von Menschen an, die sich vor dem Eingang Löcher in die Beine steht. Bei der Hitze ein besonderes Vergnügen, auch wenn sie sich alle im Schatten aufhalten. Frauen und Männer blicken relativ genervt, fächeln sich mit irgendetwas Passendem Luft zu und die Glücklichen unter ihnen trinken ab und zu aus großen Wasserflaschen.

   Fünf Minuten Fußweg sind es dann noch von den Uffizien bis zur Ponte Vecchio, jener ältesten Brücke der Stadt, die mit ihren typischen Schmuck- und Goldschmiedeläden den Arno überspannt. Inzwischen wird der Platz auf den Straßen und erst recht auf dieser Brücke eng und ich schlage den Rückweg ein. Ein drittes Mal führt mich meine Sightseeingtour am Dom vorbei - und jetzt wird mein Mitleid doch stark herausgefordert. Der Eintritt dort ist zwar frei, aber man muss mit Geduld, Schweiß und Nerven bezahlen. Mindestens 500 m ist die Schlange lang, die sich vor den Stufen des Doms und über die sonnenbeschienene Piazza di Giovanni langzieht. Wer tut sich das alles nur freiwillig an? Ich nicht, mein Kurztripp ist damit beendet. Florenz in drei Stunden - das geht! Am Bahnhof kann ich direkt in einen bereitstehenden Zug einsteigen und eine Stunde später hat mich meine inzwischen vertraute Herberge wieder.

   Dann entwickeln sich die Dinge etwas anders als vorgesehen. Sechs Pilger erscheinen nach und nach auf der Bildfläche und sehnen sich nach einem langen Wandertag bei Temperaturen um die 35ºC im Schatten nach einem Bett. Mit mir sind es also sieben. In dem kleinen Zimmer gibt es aber nur sechs Betten. Der kleine Wohnwagen, in dem in den letzten beiden Nächten auch noch zwei Pilger schlafen konnten, wurde gesperrt, weil man befürchtet, dass man bei der dort drinnen herrschenden Hitze kollabieren könnte. Was also tun? Ich überlege kurz, dann ist mein Entschluss gefasst. Ich durfte schon zwei Nächte hier schlafen, eigentlich eine Sache, die in Pilgerherbergen nicht geht. Ich schlage an der Rezeption vor, aus dem Zimmer auszuziehen, wenn sie mir im Ort einen anderen Schlafplatz besorgen können. Das ist nach einem Telefonat schnell erledig, denn das kleine Restaurant, in dem ich mittlerweile schon zweimal abends gegessen habe, vermietet auch Zimmer. Ganz uneigennützig ist mein Umzug aber auch nicht. Nach nunmehr drei Nächten in vollbelegten, kleinen und überhitzten Zimmern und dem daraus resultierenden nicht sehr erholsamen Schlaf, bin ich mit dieser Lösung sogar mehr als einverstanden. Herrlich, "wie früher mal", mit mir alleine im Einzelzimmer!

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Der Kronprinz (Dienstag, 24 Juni 2014 17:37)

    Welch Tapferer Samariter!!


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